Oumy Bruni Garrel in "Neneh Superstar"

Kino: Neneh Superstar

Sie will tanzen! Nein, nicht auf der Straße – da ist sie längst ein Star. Auf der Bühne. Genauer gesagt: auf der Ballettbühne. Das Problem: Neneh ist schwarz und nicht nur das – anders als ihre Konkurrentinnen bei der Aufnahmeprüfung hat sie das Ballett-ABC nicht im geregelten Grundunterricht erlernt, sondern sich im Alleingang per Videoclic angeeignet. Aber Neneh hat ganz offensichtlich Talent. Auch scheinen ihre Proportionen perfekt. Willensstark und ein echter Hingucker ist sie obendrein. „Ein Glücksfall“, wie der Operndirektor auch angesichts der öffentlich eingeforderten Diversität konstatiert. Über den Kopf seiner Schulleiterin hinweg setzt er Nenehs Kandidatur durch.

Filmszene mit Oumy Bruni Garrel © Mika Colleton

 

Das rächt sich. Schon am ersten Tag lässt Madame Belage ihre frisch gekürte Ballettelevin wissen, dass sie keinesfalls willkommen ist. Und auch ein Kollege sieht durch die Dunkelhäutige die „ästhetische Einheit“ des weißen Balletts, wenn nicht sogar westliche Wertevorstellungen gefährdet – und behandelt sie im Klassik-Unterricht wie Luft. Als Neneh die notwendigen Korrekturen einfordert, lässt er sie zur Strafe zehn Liegestütze absolvieren. Widerspruch, so gibt er der Zwölfjährigen zu verstehen, ist an Ballettschule der Pariser Oper verpönt. Respekt, man könnte auch sagen: Unterwerfung ist oberstes Gebot. Nicht alle Pädagogen sehen die Normierung durch das Ballett so streng wie er. Wenn die Beinmuskulatur mal einen Zentimeter zu dick ist, wird sich das mit der Zeit wieder auswachsen, meint beruhigend eine Lehrerin. Ein anderer Pädagoge setzt singend ungeahnte Energien frei. Eine dritte versucht es erfolgreich mit viel Fingerspitzengefühl.

 

Unterricht an der Stange © Mika Colleton

 

Ganz nebenbei macht Ramzi Ben Sliman in seinem Film „Neneh Superstar“ unterschiedliche Lehrkonzepte und Verhaltensmuster sichtbar und vermeidet so von vornherein jedes Erwartungsklischee. Hier ist es denn auch nicht die Mutter, die die Tanzträume der Tochter stützt. Der schwergewichtige Vater ist es, der Neneh immer wieder den Weg ebnet. Selbst dann, wenn sie sich mal wieder einmal übergangen oder diskreditiert fühlt. „Genetisch bin ich nicht unbedingt gesegnet“, meint sie mal entmutigt und wäre zwischendurch am liebsten weiß – um sich denn doch wieder ihrer Haut zu erwehren, wenn ihr die Mitschülerinnen übel mitspielen. Mehr noch, als ihr Madame Belage eine Rolle in der Schulaufführung von „Schneewittchen“ versagt. Sie ist doch viel besser als alle anderen.

Es kommt, wie es im Film immer kommen muss: zum Eklat. Dass Neneh und Madame Belage mehr verbindet als nur die eine Ohrfeige, gibt dem Werk einen Hintergrund und hebt es damit heraus aus dem Gros banaler Ballett- oder Tanzfilme. „Neneh Superstar“ lässt tief blicken, sofern nicht wieder mal Madame symbolkräftig die Kontaktlinse verrutscht. Und sehenswert macht ihn Maïwenn, Schwester der nicht weniger namhaften Isild Le Besco, ebenso wie Oumy Bruni Garrel, die hier gut spielt und noch besser tanzt. Kurz: Ein Film wie „Billy Eliot“. Nur ganz anders.

„Neneh Superstar“, 97 Minuten, Kinostart ist der 6. April 2023. Den Trailer zum Film finden Sie hier.