Buch: Cosima Wagner. Ein widersprüchliches Leben

Sabine Zurmühls Monographie über Cosima Wagner ist eine Rehabilitation. Wagners Gattin wurde über Jahrzehnte (etwa noch 2007 in Oliver Hilmes tendenziöser Monographie „Herrin des Hügels“) unterschätzt, denunziert, reduziert  auf die Rolle einer engstirnigen Gralshüterin, die Bayreuths Tür und Tor öffnete für die Protagonisten einer deutschnationalen, antisemitischen Ideologie, welche im Rassenwahn der Nazis ihre grausame Vollendung fand. Sabine Zurmühl leugnet diese Züge Cosimas natürlich nicht; aber sie arbeitet auch die dieser Engstirnigkeit widerstreitenden Eigenschaften, Talente und Verdienste heraus. Cosima, wie viele konservative intellektuelle Männer ihrer und späterer Zeit auch, lebte in Widersprüchen, die uns aus heutiger Zeit schwer begreiflich erscheinen müssen. Insofern trifft dieses Buch mit seinem Untertitel „ein widersprüchliches Leben“ ins Zentrum des intellektuellen Konservativismus der Vor-Nazizeit. Zurmühl macht nun aber zweierlei klar: erstens, dass Cosima sich intellektuell und gesellschaftlich mindestens auf Augenhöhe mit den berühmtesten Männern ihrer Zeit bewegte; und zweitens, dass ohne Cosima weder Wagners Œuvre noch die Bayreuther Festspiele jemals jenen Zenit hätten erreichen können, auf den wir heute mit Bewunderung blicken.

Dabei ist der Zugang der Journalistin, Mediatorin, Autorin und Feministin Zurmühl zu ihrer Heldin sowohl in der literarischen Form wie auch in der persönlich Haltung eingestandenermaßen subjektiv, ja, empathisch: Es ist die emanzipierte Frau, die Sabine Zurmühl an Cosima vor allem interessiert. Und manchmal wirkt es schon ein wenig besserwisserisch, wenn sie aus der woken Perspektive unserer erleuchteten Gegenwart gleichsam kopfschüttelnd auf die männlichen Dominanzrituale der Vergangenheit blickt. Dennoch erweist sich dieser Zugriff als fruchtbar, denn vor diesem Hintergrund tritt uns Cosima als ein lebendes Paradoxon entgegen: als zutiefst faszinierende Persönlichkeit und emanzipierte Frau, gleichrangige Partnerin ihres berühmten Gatten und von diesem bedingungslos als solche anerkannt, die sich doch um die Frauenemanzipation, die sich just zu ihren Lebzeiten zu organisieren begann, keinen Pfifferling scherte.

Die narrative Lebendigkeit der Darstellung gewinnt auch dadurch, dass das Buch ein ungemein reiches Lebensspektrum seiner Heldin aufblättert. Es ist keineswegs biographisch aufgebaut und muss schon ein bisschen suchen, bis man endlich auf Cosimas weihnachtliches Geburtsdatum (24. 12. 1837) stößt. Nicht nur da wäre eine Zeittafel hilfreich, immerhin gilt es, den Überblick über 92 Lebensjahre zu behalten. Die 33 Kapitel fokussieren sich in immer neuen, oft sehr privaten Perspektiven auf dieses „widersprüchliche Leben“: Sie beleuchten Cosimas „Erscheinung“, ihre Herkunft, ihren Katholizismus, das Eingreifen des Königs Ludwig II. von Bayern in ihr und Wagners Leben, die Etablierung des Paares in Wahnfried, die Geburt der Festspiele, das komplizierte Verhältnis zu ihren Kindern, zum Vater Franz Liszt, zu ihrem ersten Mann Hans von Bülow, sie umschreiben ihre Liebe zu und Abhängigkeit von Wagner und das Männer-Dreieck aus Vater, erstem und zweitem Gatten, in dem Cosima sich bewegen und oft aufreiben musste. Breit wird auch ihre Beziehung zu dem jüdischen „Parsifal“-Dirigenten Hermann Levi und zum Antisemitismus ihrer Zeit dargestellt.

Dieser Perspektivreichtum war nur um den Preis historischer Lücken zu haben. Deren größte klafft, wo Cosima nach Richards Tod aus dem Schatten ihres Mannes tritt und 20 Jahre lang, von 1883 bis mindestens 1903, uneingeschränkte über die Festspiele herrschte und diese aus tiefster eigener Überzeugung im chauvinistisch-nationalistisch-antisemitischen Milieu des deutschen Kaiserreichs verankerte. Aber interessanterweise diffundiert die beschriebene Person durch die Auffächerung in einzelne Aspekte nicht, denn erst so vermag man zu ermessen, auf wie vielen unterschiedlichen Ebenen Cosima sich mit Richard Wagner ergänzte, wie breit gefächert ihre Unterstützung für ihn war und wie imposant und verantwortungsvoll ihre Rolle beim Entstehen der Festspiele. Sie war nicht nur Wagners Gattin, Geliebte und Muse. Sie war seine Musikdramaturgin aus Berufung, lange bevor es diesen Beruf überhaupt gab; sie war seine Managerin, die in Verhandlungsgeschick und Akquisetalent die meisten ihrer männlichen Kollegen überragte; und sie war nach Wagners Tod seine Sachwalterin, die seine Erbe mit starker Hand und Selbstbewusstsein dorthin führte, wo sie die Zukunft sah.

Dieser Frau in der Darstellung von Sabine Zurmühl zu begegnen, ist eine große Bereicherung: ein absolut lesenswertes Buch keineswegs nicht nur für eingeschworene Wagnerianer, gerade für diese allerdings durchaus heilsam in Bezug langgehegte Vorurteile.

Sabine Zurmühl: Cosima Wagner. Ein widersprüchliches Leben. Mit einem Nachwort von Monika Beer. Böhlau Verlag, 2022. 360 Seiten. 40 Euro.