Der Theater-Enthusiasmus der Jugend
Foto: Szene aus „Unruhe“ von Nolwenn Peterschmidt © Irwin Barbe Text:Tobias Prüwer, am 17. November 2025
Vom 13. bis 16. November fand die wahrscheinlich letzte Ausgabe des Festivals „Fast Forward” in Dresden statt. Die Werkschau junger europäischer Regisseur:innen wird wegen des Mangels an Zuschüssen eingestellt. Lebendigkeit und Zuschauererfolg des Festivals drängen eher auf eine Fortsetzung.
Eine Handreichung genügt und der Kritiker reiht sich ein in die Menschenmenge, die durch den leeren Saal tanzend ihre Kreise zieht. In an spätmittelalterliche Saltarellos und Traubentritte erinnernden Mustern bewegt sich das Gros des Publikums zur antreibend-lauten, vermutlich alten Melodie. Sanft geführt durch Tänzerinnen und Tänzern der Groupe Crisis spüren sie in „Unruhe“ (R: Nolwenn Peterschmitt) dem Phänomen des Veitstanzes nach. Sie erleben nach Euphorie den Katzenjammer mit, den Ekstase mit sich bringt. Der gemeinsame Massentanz hält einen wesentlichen Moment des Fast Forward Festivals fest: Zusammenkommen. Es könnte an diesem Wochenende das letzte Mal gewesen sein.
Denn die Werkschau junger europäischer Regisseurinnen und Regisseure, veranstaltet vom Dresdner Staatsschauspiel, ist auf Eis gelegt. Die Sparmaßnahmen des Landes Sachsen sehen auch weniger Geld für diese Bühne vor. Das führte zur Entscheidung, die Festivalausgaben vorerst einzusparen. Der derzeitige Intendant Joachim Klement brachte 2017 das 2011 in Braunschweig ins Leben gerufene Festival beim Wechsel nach Sachsen mit. Er scheidet im übernächsten Jahr aus dem Amt. Ob eine neue Theaterleitung Fast Forward reanimiert, ist ungewiss.
Kooperation verschiedener Theaterhäuser
Beim Festival kooperieren verschiedene Häuser der Stadt. Diese lobt Carena Schlewitt als produktiv. Für die Intendantin des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau hat das Festival hohen Stellenwert: „Wenn ich national oder international unterwegs bin, begegnet mir Forward überall in der Szene.“ Der Name Dresden sei fest damit verbunden. „Auf diese Internationalität in der Stadt zu verzichten, wäre fatal. Es ist zur festen Größe geworden fürs Publikum jenseits des Repertoires. Es bekommt die Möglichkeit, in vielen Sprachen zu erleben, wie die jüngere Generation die Welt sieht.“ Zudem sei es eine Plattform für jüngere Theaterschaffende, eine Institution für junge Karrieren.
Dass es Magnet für Theatermenschen ist, erlebt man permanent auf dem Festival. Wenn man wie in kleinen Prozessionen von Spielort zu Spielort zieht, geht es jung und mehrsprachig zu. Eine 25-köpfige Studierendengruppe ist aus Wien angereist ist, jeweils die Erstsemester der Theaterakademie Hannover reisen seit der Braunschweiger Zeit zum Festival, sind nun Dresden treu. Auch Einheimischen begegnet man in den Foyers. „Das Festival ist immer gedacht gewesen fürs gesamte Publikum“, sagt Festival-Kuratorin Charlotte Orti von Havranek. Es vor Ort zu verankern, sei der Anspruch, nicht allein Fachpublikum das Ziel.
Gegengewicht im eher konservativen Dresden
Manche würden widersprechen, wie Gespräche mit ein paar lokalen Theaterbeobachtern bezeugen, denen das Programm zu speziell ist. Allerdings findet es sein Publikum, kann im eher konservativen Dresden als Gegengewicht wirken. Außerdem ist der Theater-Enthusiasmus der Jugend ansteckend. Und oft sind Produktionen zu sehen, die das Theater an sich in Frage stellen – nicht selbstreferenziell, sondern seinen Stand in der Gesellschaft. Beim Massentanz „Unruhe“ waren es die einfachen – aus der Religion, also dem Ursprung des Theaters – bekannten Mittel, Menschen in Ekstase zu versetzten. Hier nur als Spiel; dass es auch ums nackte Überleben und den Verlust der Urteilskraft gehen könnte, ließ der zweite Teil der Inszenierung erahnen.
Über einen anderen Dreh beschäftigte sich „Bidibibodibiboo“ (R: Francesco Alberici) damit. „Arbeit kommt nicht an erste Stelle“, muss der gespielte Regisseur sich vom Bruder sagen lassen, als er eine Kritik der Arbeitsgesellschaft inszeniert. Trotz zu vieler Dialoge, der Blick klebte dauerhaft an der Übersetzungsprojektion über der Bühne, zeigte es die Kraft des Theaters als Ort der Verabredung. Denn das Stück wird allmählich vor den Publikumsaugen zerlegt. Erst mit schönen Effekten, wenn etwa Personen, über die gerade gesprochen wird, aus Pappkisten kommen. Es problematisiert sich selbst, bis das Reale in Person des Bruders hereinbricht. Denn der möchte nicht vorm ohnehin schon kritisch-informierten Publikum ausgestellt werden. Wie die anfangs nur aus Pappkisten bestehende Bühne nach und nach realistischer erscheint, wird das Verhältnis des Regisseurs zu seiner Arbeit immer brüchiger. Er kritisiert die Konkurrenz unter Kulturbetrieblern. Sitzen die in Selbstausbeutung Kreativen nicht heimlich einem viel tieferen Arbeitsfetisch auf als Nine-to-Five-Schaffende?
Lehre und Austausch
„Das Festival war immer Teil der Lehre“, sagt Barbara Ehnes, Professorin für Bühnenbild an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. „Die Studierenden sind aktiv involviert, leiten Diskussionen, partizipieren auf viele Weisen daran.“ sie erklärt noch einen weiteren Aspekt. „Das ist nicht nur für Kunstschaffende wichtig, auch das Publikum kann am Diskurs teilhaben. Es gibt nichts Vergleichbares.“ Das bestätigt der Austausch mit einigen Theaterschaffenden, die am Festival beteiligt waren. Sie schätzen es, andere Teams kennenzulernen und sich präsentieren zu können.
„Wenn wegfällt, was für die nächste Generation gedacht ist, fehlt etwas“, so Kuratorin Schlewitt. Diese interne Perspektive sei nur das eine. „Das Potenzial der anderen Formen ergänzt das Repertoire.“ Das Festival trete bestenfalls Gespräche los. „Wir zeigen unbekannte Produktionen mit unbekannten Köpfen, darüber sind die Meinungen noch nicht eingeschliffen. Da gibt es noch keine Kritik, keine Anweisung, wie man das zu finden hat.“ Ein portugiesischer Regisseur berichtete ihr von Instagram-Diskussionen mit Dresdnern. „Sie wollten wissen, was er sich bei der Inszenierung gedacht hatte, obwohl es ihnen nicht gefallen hat.“ Kaum größer kann eine Chance für einen Austausch sein. Und sei es nur beim Zusammenkommen zum Veitstanz – und dem Sich-Wundern, warum man ausgelassen mittanzte.
Szene aus „Bidibibodibiboo“ von Francesco Alberici. Foto: Daniele Casalboni