Die Rückkehr des Publikums

Es bewegt sich etwas. Nicht überall, aber deutlich spürbar. Wenn wir Redakteur:innen der DEUTSCHEN BÜHNE in den letzten Wochen ins Theater gegangen sind, waren die Vorstellungen oft gut besucht, einige auch ausverkauft. Es gab viel weniger leere Theaterstuhlsitzflächen zu ertragen als noch zwei Monate zuvor.

Und das gilt nicht nur für vorweihnachtliche Familienstücke oder exponierte Neuproduktionen. Auch „normales“ Repertoire läuft wieder. Und das Publikum ist spürbar enthusiastisch. Woher kommt das? Auf jeden Fall ist es nicht so, dass irgendein Regietheater das bürgerliche Theaterpublikum dauerhaft verschreckt hätte, wie Ex-Burgtheaterintendant Matthias Hartmann jüngst in seinem Spiegel-Artikel „Das Versteck der Dilettanten“ behauptet, in dem er den Theatern nicht mehr und nicht weniger als die Verachtung ihres Publikums vorwirft – und nicht sehr nonchalant andeutet, dass er es selber besser machen könnte.

Die Realität ist eine andere. Die Menschen strömen in einigen Städten ins Theater, in anderen kommen sie immerhin nach und nach zurück. Das haben unsere Nachfragen bei mehreren ganz unterschiedlich aufgestellten Theatern ergeben – von Stuttgart bis Hamburg, vom Staatstheater bis zum freien Produktionshaus. Die Tendenz ist eindeutig, die Gründe dafür sind vielfältig. Möglicherweise halten viele Menschen den selbst gewählten Verzicht auf Kulturkonsum in der Öffentlichkeit irgendwann doch einfach nicht mehr aus, gewinnt die Sehnsucht die Oberhand, sich gemeinsam mit anderen Menschen einer künstlerischen Hervorbringung auszusetzen, sich damit auseinanderzusetzen und hinterher darüber auszutauschen. Aber sicher hat die positive Entwicklung auch damit zu tun, dass sehr viele Theater drangeblieben sind, sich nicht haben beirren lassen, um ihr Publikum geworben haben und werben, trotz allem sichtbar geblieben sind. Auf ganz unterschiedliche Weise, von neuen Social-Media-Strategien über Plakataktionen, neue Preisgestaltungen bis hin zum Rausgehen aus den Häusern in die Stadt.

Ob jetzt die Besuchszahlen aus dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019 bereits erreicht sind oder nicht, ist gar nicht entscheidend. Wichtig ist vielmehr, dass Theater und Publikum auf neue Weise zusammenzufinden scheinen. Dass sich die Menschen etwa kurzfristiger entscheiden, ins Theater zu gehen, heißt ja nicht automatisch, dass weniger kommen. Aber die, die da sind, wollen wirklich da sein. Was sich in großer Konzentration in von uns besuchten Vorstellungen genauso niederschlägt wie in spontanen und enthusiastischen Reaktionen des Publikums. Dass sich die Theater daher zunehmend Gedanken machen, welche die richtigen Angebote sind, wie man möglichst viele Menschen zu sich holen kann, ohne dass diese zu große Barrieren jedweder Form überwinden müssen, ist gut und richtig, vielleicht sogar überfällig. Und muss nicht zwingend zu flachen Ergebnissen führen.

Auch für uns in der Redaktion ist das Publikum in den letzten Monaten zunehmend in den Mittelpunkt gerückt, auch und besonders als unverzichtbarstes Element des faszinierenden Vorgangs „Theater“. Wobei man nicht vergessen darf, dass vor dem Corona-Ausbruch lange nicht alles golden war, lange nicht alle Theaterproduktionen in allen Städten immer gut besucht waren. Diese zwei von Theaterentzug durchzogenen Jahre haben Entwicklungen verschärft, etwa die große, gerade bei jüngeren Menschen steigende Beliebtheit des Tanzes oder die Schwierigkeit, ein breiteres Publikum für ambitionierte, diskursive oder experimentelle Schauspiel-Formate zu finden. Die laufen genau dann, wenn die hier gesetzten Themen einen Nerv treffen bei den Zuschauenden. Und das ist lokal unterschiedlich. Es braucht also ein Ohr am, fast im Publikum. Man muss wach bleiben, offen, freundlich sein. Und darf sich trotzdem nicht unter Wert verkaufen.

Dann wird aus dieser Corona-Krise sogar etwas Gutes entstehen. Und die Rückkehr des Publikums ins Theater wird sich auf noch höherem Niveau fortsetzen.