Der Bonner Operndirektor Andreas K. W. Meyer verstarb am 8. April 2023.

Zum Tod von Andreas K. W. Meyer

Die Nachricht vom Tod Andreas K. W. Meyers war ein Schock für mich, denn ich kannte ihn seit 30 Jahren. 1993 holte der damalige Kieler Generalintendant Peter Dannenberg den 1958 in Bielefeld geborenen, bis dahin als freier Kritiker und Publizist tätigen Opernfachmann als Dramaturg an sein Opernhaus. Dort lernten wir uns rasch kennen und schätzen, weil wir das Interesse an (mehr oder minder) zu Unrecht vergessenen Werken des späten 19. und 20. Jahrhunderts teilten. Meyer war in dieser Hinsicht ein wahrer Schatzgräber – dieser Begriff verweist auch gleich auf den Komponisten, um den er sich bereits in Kiel hochverdient gemacht hatte, gemeinsam mit der Regisseurin Kirsten Harms, die 1995 als Opernintendantin auf Dannenberg folgte, und mit der Meyer dann 2004 an die Deutsche Oper Berlin ging. „Die Schatzgräber“ ist ja so eine vergessene Oper, komponiert hat sie der jüdisch-österreichische Komponist Franz Schreker, dessen Karriere die Nazis brutal beendeten. Ausgerechnet diese Oper hat Meyer zwar meines Wissens nie dramaturgisch betreut; aber mit „Das Spielwerk und die Prinzessin“ und „Christophorus“ leisteten er und Kirsten Harms einen substantiellen Beitrag zur Schreker-Wiederentdeckung der frühen 2000er Jahre.

Andreas K. W. Meyer zog immer wieder Werke aus dem Ärmel und platzierte sie auf den Spielplänen, von denen ich kaum den Namen des Komponisten kannte: Franco Alfanos „Cyrano de Bergerac“ oder Alberto Franchettis „Germania“. Und selbst an bekannteren Komponisten interessierte ihn vor allem das weniger Bekannte: „Der Traumgörge“ von Alexander von Zemlinsky, die „Heilige Johanna“ von Walter Braunfels, „Die Liebe der Danae“ von Richard Strauss. Wie er damals in Kiel begann, so machte er auch an seiner letzten beruflichen Station weiter: Seit der Spielzeit 2013/14 war er das dramaturgische Gehirn des Bonner Opernhauses und entriss hier Werke wie „Der Traum ein Leben“ von Walter Braunfels, „Holofernes“ von Emil Nikolaus von Reznicek oder „Oberst Chabert“ von Hermann Wolfgang von Waltershausen der Vergessenheit. Unter dem wunderschön vieldeutigen Titel FOKUS ‘33 – Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben hat er an der Oper Bonn auch ein szenisch-wissenschaftliches Rechercheprojekt ins Leben gerufen, das den Werken gewidmet war, die nach 1933 aus den Spielplänen verschwanden oder in diesem Zeitraum entstanden und erst nach 1945 zur Uraufführung kommen konnten.

Zuletzt, so teilte die Oper Bonn in einer Pressemeldung zum Tod ihres Operndirektors mit, habe er mit Hochdruck an der ersten ungestrichenen Wiederaufführung von Franz Schrekers „Der singende Teufel“ gearbeitet. Damit schließt sich der Kreis zu seinen Kieler Anfängen – auch für mich persönlich. Denn von Köln, wo ich Chefredakteur der DEUTSCHEN BÜHNE war, bis nach Bonn ist es ja nur ein Katzensprung. Jetzt muss ich bestürzt feststellen, dass wir uns in dieser Zeit viel zu selten getroffen haben. Andreas K. W. Meyer war ein wunderbarer, geistreicher und hochgebildeter Gesprächspartner und Publizist. Mit seinem plötzlichen Tod verliert die Gattung Oper einen ihrer klügsten und findigsten Schatzgräber.