Aufführungsfoto von „Charlie und die Schokoladenfabrik“ von Roald Dahl am Theater Regensburg. Ein Mann in buntem Kostüm und einer Zuckerstange als Gehstock, kniet neben einem Jungen. Beide schauen gespannt nach vorne. Im Hintergrund ein Mann in grüner Lederhose und rot kariertem Hemd schaut auch in dieselbe Richtung.

Bohnen? Visionen!

Marc Shaiman: Charlie und die Schokoladenfabrik

Theater:Theater Regensburg, Premiere:06.12.2025 (DSE)Vorlage:David GreigRegie:Ulrich Wiggers Musikalische Leitung:Lucia Birzer Komponist(in):Marc Shaiman

In der deutschsprachigen Erstaufführung von „Charlie und die Schokoladenfabrik“ zaubert das Theater Regensburg eine märchenhafte Kulisse für die Suche des Willy Wonka nach einem ebenbürtigen Nachfolger seines süßen Unternehmens. Dem Witz geht der Inszenierung von Ulrich Wiggers peu à peu das Tempo aus – der Abend überzeugt aber musikalisch und stimmlich.

„Dein Unternehmen: Dein Lebenswerk. Die Übergabe: Dein Meisterstück“, sensibilisierte die Chemnitzer Industrie- und Handelskammer vor ein paar Jahren die zahlreichen Gründer aus der ostdeutschen Nachwendezeit, sich rechtzeitig um geeignete Nachfolger an der Unternehmensspitze zu bemühen. Insofern macht Schokoladenfabrikant Willy Wonka alles richtig: Seine Schokoladen gelten zwar immer noch als lecker, Kult aber sind sie nurmehr unter älteren Leuten. Alt und grau geworden und in seinen Visionen nicht immer verstanden, hat sich Wonka von aller Welt zurückgezogen. Selbst Arbeiter braucht er in seiner Fabrik nicht mehr. Eigene Kinder hat der exzentrische Unternehmer sowieso nicht. Wie also soll es weitergehen? Wonka begibt sich auf Nachfolgesuche, verlost Goldene Tickets, um Aspiranten zu finden.

In Charlie, wie einst der gealterte Unternehmer selbst ein Junge aus ärmlichen Verhältnissen, doch mit viel Fantasie und Liebe zum Produkt ausgestattet, findet Wonka einen würdigen Nachfolger, mit dem man gemeinsam das Lebenswerk zu neuer Blüte führen kann.

Jagd auf das Goldene Ticket

Seit Roald Dahl 1964 sein träumerisches, aber auch schwarzhumoriges Kinderbuch „Charlie and the Chocolate Factory“ vorgelegt hat, ist der Stoff vielfach verarbeitet worden. Drei Kinofilme (1971, 2005 und 2023) machten die Geschichte regelmäßig neuen Kinder- und Elterngenerationen zugänglich. Es gibt eigene Videospiele, unzählige popkulturelle Anspielungen und die Oper „The Golden Ticket“. Das Musical mit einem Buch von David Greig, Musik von Marc Shaiman und Gesangstexten von Scott Wittman und Marc Shaiman wurde 2013 am Londoner Westend aufgeführt, war am Broadway erfolgreich und fand am Nikolaustag am Theater Regensburg nun auch seine deutschsprachige Erstaufführung.

Der erste Akt ist von der Jagd auf die Goldenen Tickets bestimmt: Mit viel Geld lassen sich viele Schokotafeln kaufen und die Chance auf den Gewinn erhöhen. Oder man hackt Wonkas Computersystem und findet so das passende Ticket. Die Reporter Jerry und Sherry reisen um die Welt, präsentieren Ticketgewinner um Ticketgewinner: Zum Zuge kommen vor allem vernachlässigte Kinder. Die mal mangelnde, mal hyperkompensierte Erziehung hat Auswirkungen: Da ist der verfressene bayerische Metzgersohn Augustus Gier, die mit Geld zugeschüttete russische Balletttänzerin Veruca Snob, die selbstvermarktungsfähige, ansonsten hohle Violet Beauregarde und schließlich Mike Glotzer, technikaffiner Sohn einer alleinerziehenden Mutter aus den amerikanischen Flyover-Countries.

Fantastische Traumfabrik

Ein wenig gehetzt öffnen sich dem Zuschauer immer neue visuelle und auch musikalische Welten – die Kompositionen sind leitmotivisch Herkunft und Lebensart der Ticketgewinner angepasst. Im Gewitter aus buntesten Kostümen, Gags und Musik geht beinahe unter, wie sehr sich auch Charlie nach Einlass in Wonkas Fabrik sehnt, wie die jährliche Geburtstagstafel keine Erlösung bringt und schließlich der inszenierte Zufall doch noch zum Erfolg verhilft.

Aufführungsfoto von „Charlie und die Schokoladenfabrik“ von Roald Dahl am Theater Regensburg. Ein Mann im bunten Kostüm steht links an der Seite. Lilafarbenes Licht strahlt eine verzierte Wand an, auf der Chocolate steht. Davor steht eine große Gruppe von Menschen, die die Arme hoch strecken.

„Charlie und die Schokoladenfabrik“ von Roald Dahl am Theater Regensburg. Foto: Marie Liebig

Was der erste Akt in der Inszenierung von Ulrich Wiggers an Tempo aufweist, lässt der zweite partiell vermissen. Eine wahrhafte Traumfabrik aus Licht- und Videoeffekten, aus Kulissenmalerei und fantastischen Großgeräten, traumhaften Kostümen sowie einer Roboterarmee an Humpalumpas haben Ausstatter Kristopher Kempf und Lichtgestalter Maximilian Spielvogel gemeinsam mit Wiggers auf die Bühne gebracht. Endlich im Inneren des Firmengeländes angekommen, beginnt ein mühsamer Prozess des Aussiebens: Leidenschaft für Essen, Kapital, Vermarktungstalent oder technisches Können reichen nicht, um Wonkas Nachfolger zu werden. Nicht Bohnen, sondern Visionen und ein Hauch Demut machen einen Menschen zum Unternehmer – und können Wonkas Herz erobern.

Slapstick-Nummern

Das wirkt teils langatmig, auch wenn Christian Poewe eine schlüssige, mit viel Witz und einigen Anspielungen ausgestattete deutsche Übersetzung vorgelegt hat: Da zitiert ein Fernsehreporter Sartre, will Familie Beauregarde „bald eine Bubble-Gum-Boutique in Baden-Baden“ eröffnen. „Herz“ wird nicht auf „Schmerz“, sondern auf „Kommerz“ gereimt und es gibt auch keine Scheu, Witze aus den Vorlagen zu integrieren. Doch verheddert sich die Inszenierung in der ein oder anderen Slapstick-Nummer, die die Geschichte kaum vorantreibt.

Insbesondere Charlie als Titelfigur bleibt blasser, als man es dem gesanglich hervorragenden Felix Rabas wünschen würde. Firlei Fernández als Wonka hingegen darf sich in voller stimmlicher Bandbreite austoben, vom aus dem tiefsten Bauch kommenden, höllischen Lacher bis zur Kopfstimme mit einem en passant eingewebten „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“. Und er macht das mühelos. Wie es überhaupt an der stimmlichen und musikalischen Qualität wenig auszusetzen gibt. Chordirektorin Lucia Birzer, die als Kapellmeisterin auch die Premiere leitet, hat Humpalumpas geformt, die auch die Mauern Jerichos zum Einsturz gebracht hätten. Die zahlreichen Nebenrollen sind – wie in Regensburg gewohnt – bestens besetzt. Und so gibt es zu Recht einen langanhaltenden Schlussapplaus für eine märchenhafte, bildgewaltige und musikalisch überzeugende deutsche Erstaufführung.