Im Sitzkreis aus camping-stuhl ähnlichen Sitzmöbeln treffen schlüssig gezeichnete Typen aufeinander: Dr. Dr. Crawley (Katrija Lehmann) ist Kennerin von Pornografie und Holzmöbeln, Dr. Stanley (Frieder Langenberger) anfangs verhuschter, zunehmend hysterisch auftrumpfender naiver Humanist, Dr. Sharkey (Wiebke Mollenhauer) ausgeprägte Misanthropin, Dr. Wooley (Bernd Moss) kauziger Statistiker, der mit so voll gestopften wie hilflosen Schautafeln Ordnung in die Zahlenmasse zu bringen sucht. Dr. Aileen Dopamin Roger (Evamaria Salcher) hingegen begegnet der zunehmenden mentalen und seelischen Überforderung der Runde mit der Ausgabe von „allerlei Mittelchen und Mitteletten“ aus ihrer Minibar. Für den Kommerz ist Prof. B. J. Manhattan (Moritz Grove) zuständig, indem er zwischendurch an einem Klapptischchen mit Hilfe von Kassettenrekorder und Glöckchen irrwitzige Werbepausen einlegt.
Später wird dieser Uramerikaner als Dostojewski-Kenner den Wahnsinn als einzigen Ausweg aus der Bedrohung des Menschseins durch die Wissenschaft nennen. Die fast 120 Minuten von „Eine Minute der Menschheit“ konfrontieren das geistreiche Gedankenexperiment Lems mit teils alberner, oft schlau erdachter, immer aber bestens getimter Komödie. Damit unterhält Anita Vulesicas Inszenierung köstlich und entwickelt doch ein paar Längen, bis das Ensemble schließlich hinter der am Ende zu beiden Seiten geöffneten Uhr auf einer grell beleuchteten Showtreppe – oder einer Startbahn am Flughafen – in den dunklen Bühnenhintergrund verschwindet. Die Belebung des abstrakten Stoffes durch ausgewiesene Typen in einer Rateshow-Literaturrunde gelingt Regie, Bühne, Kostüm (Janina Brinkmann) und spielfreudigem Ensemble zuvor so perfekt, dass es auch in den eingestreuten Marthaleresken Liedern nicht dazu kommt, dass Brüche in dieser schrägen Retro-Zukunfts-Welt wirklich sichtbar würden. Der Spaß bleibt eher theoretisch als erschreckend ambivalente Bilanz einer prekären Spezies.
Bei der Anreise des Rezensenten ergab sich bei der Ankunft in Berlin Hauptbahnhof der sagenhafte Zeitvorsprung von drei Minuten. Die Empfehlung des Zugchefs glich einer sinnreichen Vorbereitung für die Premiere: „Genießen Sie die gewonnene Zeit.“