Foto: Das Ensemble sinnt der großen Denkerin nach © Jasmin Schuller
Text:Detlev Baur, am 26. Oktober 2025
Am Deutschen Theater Berlin kommen in „Die drei Leben der Hannah Arendt“ – zwei Wochen nach der Uraufführung eines anderen Stücks über die wieder sehr aktuelle Denkerin am Hamburger Thalia Theater – gleich fünf Arendt-Figuren auf die Bühne. Letztlich bleibt der Abend im Schatten eines Fernsehgesprächs der 1960er Jahre.
Dass Hannah Arendt, die großartige Durch-Denkerin menschlicher Abgründe im 20. Jahrhundert, bei aller Aktualität nicht ohne Weiteres auf die Theaterbühne zu bringen ist, war gerade erst bei „Arendt. Denken in finsteren Zeiten“ in Hamburg zu besichtigen. An den Kammerspielen des DT beginnt die Inszenierung mit einem live auf einen Gazevorhang projizierten Interview. Hannah Arendt (hier Abak Safaei-Rad) sitzt vor dem Bühnenportal dauerrauchend einem jungen Fragesteller gegenüber. Der ist mit Theo Steinbeck (im Wechsel der Aufführungen mit Jakob Stöve) als einem Jungen besetzt. Dieser Besetzungsdreh bringt eine herrliche Verfremdung zur Textvorlage, dem zu Recht legendären Interview von Günter Gaus aus dem Jahr 1964, das – über Arendts eigene und auf sie Bezug nehmende Schriften hinaus – die einzige anschauliche Quelle dieser Frau, ihres Denkens und Sprechens ist.
DAS Arendt-Interview
Ein hervorragend vorbereiteter und exakt nachfragender, einerseits hanseatisch emotionslos wirkender, andererseits hochinteressierter Journalist und eine fast dauerrauchende ältere, in ihrer sich und die Welt präzise auseinanderhaltender Weise charmant wirkende Dame verbinden da im Gespräch über 72 Minuten Leben und Werk der politischen Theoretikerin. Das auf YouTube einsehbare Interview ist eine ideale Möglichkeit der Begegnung mit Mensch und Werk. Und eben diese Verbindung war auch der Anspruch der Inszenierungen am DT wie der am Hamburger Thalia Theater.
Während die Hamburger Inszenierung von Tom Kühnel an einer Stelle den O-Ton des Gesprächs einspielt und die Arendt-Darstellerin Corinna Harfouch im Playback dazu – etwas hilflos – die Lippen bewegen lässt, wagt die Berliner Inszenierung also ein Reenactment dieser tiefgründigen Talk-Show. Abak Safaei-Rad, und in einer zweiten Runde auch Svenja Liesau, gelingt es bemerkenswert den Duktus der praktischen Denkerin nachzuspielen, jenseits von Plagiat die Figur zu imitieren.
Gespräch und Illustration
Doch eigentlich, jedenfalls offiziell, handelt es sich bei der Inszenierung am Deutschen Theater um die von Regisseurin Theresa Thomasberger und Dramaturg Bernd Isele erstellte Bühnenfassung der Graphic Novel „Die drei Leben der Hannah Arendt“ des US-amerikanischen Cartoonisten Ken Krimstein. Mit einfachem Strich und klugem Text skizziert er da Leben und schriftlich fixierte Gedanken Hannah Arendts. Auf diesen Texten basieren nun einige Szenen, die das Gaus-Gespräch illustrieren, aber auch immer in seinem Schatten bleiben. Regisseurin Theresa Thomasberger hat gleich fünf Hannah Arendts auf die Bühne der Kammerspiele am Deutschen Theater in Berlin gebracht. Zudem übernehmen diese Darstellerinnen wichtige Figuren aus Arendts Leben.
Hinter dem Zwiegespräch setzt sich die Drehbühne in Bewegung (Bühne: Mirjam Schaal) und wir werden Zeuge, wie das Schulkind Hannah in Königsberg erstmals als „Jude“ bezeichnet wird, lernen mit ihr in Marburg den schneidigen Philosophie-Professor Heidegger (Mareike Beykirch) kennen und im Pariser Exil ihren Mann Heinrich Blücher (Svenja Liesau) sowie den lyrischen Beobachter Walter Benjamin (Julischka Eichel) oder sehen sie mit Mann und Mutter (Daria von Loewenich) in New York ankommen. Das ist in gelungenen Szenen eine Ergänzung zum immer wieder aufgenommenen Gaus-Interview, teils aber – etwa im wilden Berlin der Zeit vor dem Reichstagsbrand – eher verzichtbare Revue.
Schauspielerinnen und präsente Denkerin
Zu fünft spielen die Darstellerinnen der Hannah Arendt dann die einflussreiche und wegen ihres Eichmann-Buchs auch umstrittene Denkerin beim Zwiegespräch mit sich selbst. Ihre Erkenntnisse über vereinsamte Menschen als Humus, auf dem der Totalitarismus gedeiht, sind so klarsichtig im Rückblick wie erschreckend in Bezug auf unsere Gegenwart.
Bei aller Kraft, die eine zornige Hannah Arendt (Julischka Eichel) auch in ihrer Antwort über die sich schuldlos gerierenden Nachkriegsdeutschen zeigt: Wenn die letzte Fragerunde an die nun tatsächlich eingespielte Fernsehaufnahme des Interviews geht und diese Hannah Arendt durch Ausdruck und Inhalt ihrer Rede tief beeindruckt, ist das auch ein Zeugnis der Vergeblichkeit des zuvor gezeigten Spiels durch die Inszenierung. Hannah Arendt erklärt hier, dass das Wagnis des öffentlichen Engagements nur im „Vertrauen auf das Menschliche aller Menschen“ möglich sei. Das klang 1964 hoffnungsvoller als in einer dauererregten Gesellschaft, die mit kommerzieller Pseudo-Kommunikation und Desinformation auf das Schlechte im Menschen aufbaut.
Dieses Ende der zweistündigen Inszenierung ist treffend, ja packend. Und doch bleibt auch nach dem zweiten Anlauf der Saison die Frage, ob das Theater der dramatischen Denkerin Hannah Arendt gerecht werden kann – über Zitat oder szenische Revue hinaus. Dass der Titel „Die drei Leben der Hannah Arendt“ kryptisch beziehungsweise unverbindlich bleibt, und dass Gaus/Arendt mindestens genauso Textvorlage sind wie das Krimstein-Buch, sind dabei noch die kleineren Einschränkungen.