Foto: Seymur Karimov hält Iida Antola in seinen Armen. © Marie Liebig
Text:Joachim Lange, am 28. September 2025
Sebastian Ritschel inszeniert gemeinsam mit Ronny Scholz am Theater Regensburg John Coriglianos „The Ghosts of Versailles“. Darin verliebt sich ein wichtiger Autor der Operngeschichte, Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, in Königin Marie-Antoinette und versucht sie zu retten. Ein gelungener Opernabend großer Unterhaltung.
Das gibt es auch nicht alle Tage: eine Geisterbeschwörung in der Oper, als Oper und über die Oper. Mit dem Versuch, gleich mehrfach die Geschichte zu korrigieren und mal das Was-wäre-wenn? des Kontrafaktischen durchzuspielen. Und zwar welt- und operngeschichtlich. Was wäre, wenn die französische Königin Marie-Antoinette nicht dem Blutrausch der Revolutionäre zum Opfer gefallen, sondern der Guillotine entkommen wäre? Was wäre, wenn ausgerechnet der Erfinder der beiden berühmtesten Friseure, die dank Rossini und Mozart zu Stars der Opernliteratur aufstiegen, Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais in die unglückliche Königin verliebt gewesen wäre? Was, wenn er persönlich versucht hätte, sie durch einen Eingriff in die Handlung seines antimonarchistischen „Figaro“ durch den Grafen Almaviva retten zu lassen? Dass als Kriegskasse dabei eine royale Halskette, die immer wieder in einer anderen Tasche landet, eine Rolle spielt, gehört zu den vielen augenzwinkernden Anspielungen, die das Ganze amüsant aufhübschen.
Gefeierter Komponist
Was wäre schließlich, wenn der Komponist einer solchen Oper der Hätte-so-sein-können-Versionen der Geschichte zu den Endproben und zur Premiere persönlich aus den USA angereist wäre, um den Regensburgern das Placet für ihre Inszenierung zu geben und sich selbst dem Urteil des Premierenpublikums zu stellen? Für die Antwort auf die letzte Frage bedarf man keinerlei Spekulation. Dem regieführenden Hausherrn des Regensburger Theaters Sebastian Ritschel und seinem Dramaturgen Ronny Scholz, dem GMD des Hauses Stefan Veselka und einer sich mit Lust ins erfundene Versailles geisternden, ziemlich umfangreichen Mannschaft ist es gelungen, das Publikum in den Bann zu ziehen und königlich zu unterhalten.
Der ausgiebig gefeierte, immer noch lehrende Komponist kann nach der Rückkehr in die USA seinen Studenten von einem großen Erfolg mit der 1991 in New York zum 100-jährigen Bestehen der Metropolitan Opera uraufgeführten grand opera buffa berichten. Also mit einer speziellen Gattung, die er mit fröhlichem Selbstbewusstsein quasi erfunden hat. Mit Lust am Durchstöbern der Musikgeschichte und ohne Scheu vor diversen Grenzüberschreitungen Richtung Show und Musical. Bis vor der Pause eine Walküre aus dem Schnürboden dazwischenfährt und mit wagnerischem Getöse verkündet, dass das gar keine richtige Oper sei, sondern nur Wagner als Oper zähle. Natürlich ist das Ganze mehr als ein Pasticcio – auch das Erkennbare ist kreativ verfremdet eingefügt in die temporeiche, mit vielen belcantistischen Leckerbissen eigenen Rechts gespickte Partitur.
Das Libretto hält verwicklungstechnisch jedem Vergleich mit einer barocken Opernvorlage stand. Die eskalierenden Massenszenen sind an den berühmten Ensembles bei Rossini, Mozart und Richard Strauss geschult und mit faszinierender Souveränität komponiert und in Regensburg umgesetzt. Den Opernchor hat Lucia Birzer einstudiert. Choreografie für Chor und Tanzcompagnie hat Gabriel Pitoni beigesteuert.
Turbulente Unterhaltung
Für die mit sicherem Gespür für Timing entfesselte Geisterstunde zwischen Irgendwo und dem Theater in Versailles hat Christophe Ouvrard die flotte Kulissenskizze eines Barocktheaters als Bühne auf die Bühne gezaubert. Davor ein paar Klappsitze für das illustre Geisterpublikum (inklusive des Königspaares, das in seiner Geistergestalt natürlich nicht kopflos ist). Außerdem hat er zwei Portallogen für zwei extravagante, lautstark kommentierende und sich selbst in Szene setzende Paare reserviert. Die stilisiert historisierenden Kostüme sind an sich schon eine Augenweide, aber der glamourös goldfunkelnde Auftritt der Samira (Fabiana Locke) in der türkischen Botschaft ist ein Clou an Opulenz.
Mit den in die Robe der Königin (souverän: Iida Antola) und ihre Perücke dezent eingefügten Totenköpfen wirkt die faktische Geschichte, so wie sie war, dann doch ins Stück hinein. Ansonsten ist der Wechsel zwischen der Welt der aristokratischen Geister und der Komödienwelt Beaumarchais das belebende Element der turbulenten Handlung. Die bemüht sich gegen Ende vielleicht etwas arg angestrengt um eine Fallhöhe ins ganz und gar Ernsthafte, bietet aber immerhin mit der Erkenntnis Marie-Antoinettes, dass ihre Freiheit nur in der Einsicht ins Unabänderliche, wirklich Gewesene liegen kann, eine dialektische Pointe. Bis Beaumarchais (als souveräner Spielmacher: Seymur Karimov) dann doch beim Schließen des Vorhangs seine angebetete Antoinette in die Arme schließt. Wozu ist man schließlich ein Autor von Weltrang und eine Hauptfigur in einer grand opera buffa?