Im Vordergrund befindet sich das im Schatten stehende Publikum. Auf der Bühne findet Orpheus und Eurydikes Hochzeit statt. Ein langer gedeckter Tisch mit zahlreichen bunt gekleideten Gästen ist zu sehen. Sie tragen übergroße Fische, Flaschen und Früchte zu Tisch.

Der Orpheus-Mythos lebt!

Sophie Jira, Kay Kuntze: Der Weg des Orpheus

Theater:Theater Altenburg Gera, Premiere:22.08.2025 (UA)Regie:Kay KuntzeMusikalische Leitung:Ruben Gazarian, Thomas Wicklein Komponist(in):Claudio Monteverdi, Jacopo Peri, Joseph Haydn, Christoph Willibald Gluck, Reinhard Keiser, Luigi Rossi, Georg Philipp Telemann, Orpheus Omega, Philip Glass, Kay Kuntze, Jacques Offenbach

Das Theater Altenburg Gera nimmt sein Publikum auf eine musikdramatische Wanderung mit. In „Der Weg des Orpheus“ von Sophie Jira und Kay Kuntze führt das Ensemble seine Gäste wortwörtlich durch die sagenumwobene Handlung – dabei gibt es schöne Details zu entdecken und zu hören.

Die Outdoor-Uraufführung der „musikdramatischen Wanderung“ gerät zum Totalereignis für alle fünf Sparten und Sinne. Dabei gibt sich die Adaption des antiken Orpheus-Mythos und seiner unzählbaren Spuren in der abendländischen Kultur durch Generalintendant Kay Kuntze und Sophie Jira durchaus eigenwillig. Kuntze, der selbst die A-cappella-Komposition „Musengesänge“ für Station 9 beisteuerte, und Jira hatten eine Bedeutungsebene zugefügt: „Der Weg des Orpheus“ thematisiert an einem der schönsten Stadtorte Thüringens Zaudern, Tatenergie und die Aufforderung zu einem Mut, der Berge versetzen könnte und doch das Risiko des Scheiterns beinhaltet. Das Abgleiten in eine puzzleartige Collage wurde durch einen unaufgeregt platzierten Bildungs- und Anspruchsüberbau vermieden. So agierten alle Beteiligten definitiv traditionskonform zu den höfischen Festen früher.

Spartenübergreifendes Großprojekt

Alle Sparten und Kollektive des Theaters Altenburg Gera waren dabei und wirbelten durcheinander: Musiktheater, Schauspiel, Chor, Ballett, Kinderballett, Puppen, Orchester. Die Musik griff vieles Bekannte auf und machte weniger Bekanntes für den imponierenden Schauwert nutzbar: ein wirkungsvolles Potpourri aus 400 Jahren Musiktheater. Einiges musste verstärkt werden. Aber ein Großteil der Reize ergab sich, weil das Publikum an chorischen Gesangseinlagen (Leitung: Judith Bothe) und malerischen Gruppierungen (Choreografie: Laura Bruña Rubio) vorbeizog und man Mut zum unperfekten Sound hatte.

Alles kam wie in der Renaissance und beim Jahrmarkttheater unter dem bei der Premiere sternenlosen Himmel zusammen: Olymp und Hades, Burleske und Pathos, Schaupracht und tiefere Bedeutung. Das Wetter spielte mit: Die erste sehr kühle Nacht passte besser als Sommerwärme für die Berührungen des Todes und die Allegorie der Vergänglichkeit (Christopher Breust unter riesiger Skelett-Attrappe), welche den Publikumsstrom durch das idyllische Stadtpanorama dirigierte. Am Ende standen die neun Musen auf Sockeln. Zu diesen wurde Orpheus selbst von vier Allegorien getrieben, getröstet und ermutigt: Patricia Felsch sprach als Vergnügen den Prolog. Als Wagemut setzte Julia Gromball mit giftgrünem Auto und brillanten Koloraturen einer virtuosen Haydn-Arie das vokale Glanzlicht. Lys Schubert und Melis Teichert wirkten wie melancholische Inseln. Johannes Beck als Sinnlosigkeit war ein kafkaesker Moment nach dem Entschwinden der stummen, von der ätherischen Tänzerin Aiste Stankeviciute verkörperten Eurydike.

Detailverliebt

Rund 750 Meter wandelt das staunende und auffallend stille Publikum von der Hochzeit bis zur enervierend grellen Apotheose vor dem Portikus des Jugendstil-Theaterhauses. Die aufwendigen Spielmittel und Kostüme von Martin Fischer und Andrea Eisensee bebildern starke Gegensätze: die elegante Hochzeit in „Kaiserwalzer“-Schwarzweiß beim archaischen Fachwerk-Hofgut und der Schiffer Charon (Peter Prautsch) auf einem Floß im Elster-Fluss, ein tiefrotes Gerüst für die Unterwelt und die Sockelparade der Musen. Im knalligen Unterweltspanorama trumpft Johannes Pietzonka als quietschfideler Sisyphos mit Offenbachs Hans-Styx-Couplet auf.

Dekorative und theatrale Details häufen sich. Dabei sind Bildfülle und theatrale Details für eine derart aufwändige Freilichtproduktion von bemerkenswerter Feinheit und Detailverliebtheit – von den Orpheus umrankenden Spinnenarmen bis zu der über der Wasserfläche wandelnden Eurydike im Park. Schön sind auch die Arrangements an Zwischenstationen mit kleinen Fischen, mit Furien und einem furchteinflößenden Zerberus in den Orangeriefenstern. Die deutschsprachige Aufführung zeichnet sich durch behutsame Aktualisierungen aus.

GMD Ruben Gazarian, Ko-Dirigent Thomas Wicklein und der Arrangeur Olav Kröger machten aus dem Sänger Orpheus einen Bariton. Kai Wefer ist in der Zentralpartie ein gestandener Mann und „Homo faber“, dem Anzug und weißes Hemd zu eng werden. Dass die Schneise vom Fest in die Unterwelt und von dort zur Apotheose im Geraer „Weg des Orpheus“ durch mit Sinn entfesselte Opulenz außer Rand und Band gerät, gehört zum Genre des theatralen Fests und war bereits in der Renaissance so. Das Publikum reagierte hellauf begeistert. Nur 50 km vom Weimarer Themenjahr „Faust“ wurden alle Wunschvisionen des Theaterdirektors Goethe betreffend Vielfalt, Unterhaltung und Ernst zur vitalen Realität. Aufgrund der großen Nachfrage gibt es neben den bekannten Terminen eine Zusatzvorstellung am 31. August.