Drei Männer im Schnee

Gisela Elsner: Heilig Blut

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:06.06.2025Regie:Ildikó Gaspar

Ildikó Gaspars Bühnenfassung von Gisela Elsners Roman „Heilig Blut“ am Staatstheater Nürnberg ist antifaschistisch, satirisch und grotesk. Die Inszenierung wechselt zwischen kriminalistischen Genre-Zügen und Hinterfragen des Menschenbilds. Und die musikalische Umrahmung stimmt.

Leise und unablässig rieselt der Schnee, doch er kann eine rote Blutbahn, die sich am Boden der schiefen Bühnenebene (Lili Iszák) abgesetzt hat, nicht verdecken. Das ist der eindrucksvolle symbolische Verweis auf Abgründe von Chauvinismus, Rassismus, völkische Ideale und katholische Gläubigkeit, der von der Dramatisierung des Romans „Heilig Blut“ von Gisela Elsner (geboren und aufgewachsen in Nürnberg) am Staatstheater Nürnberg hängen bleiben wird. Die ungarische Regisseurin Ildikó Gaspar hat zusammen mit dem Dramaturgen Fabian Schmidtlein aus dem schillernden Prosatext (entstanden 1984) eine fesselnde Bühnenfassung konstruiert, die einerseits das grundlegende antifaschistische Motiv der Autorin nicht aus dem Auge verliert, zugleich aber auch das Satirische, das Groteske und das Absurde des Geschehens in den Vordergrund rückt.

Die Personenkonstellation könnte man in Anlehnung an Erich Kästners Roman „Drei Männer und ein Weichei im Schnee“ nennen. Die vier älteren, weißen Herren Lüßl, Hächler, Glaubrecht und Gösch treffen sich einmal jährlich in einer sehr einfachen Jagdhütte nahe bei dem fiktiven Ort Heilig Blut, der wiederum nahe bei dem echten niederbayerischen Zwiesel liegt. Dem Jäger-Quartett fehlt diesmal krankheitsbedingt Herr Gösch stattdessen schickt er seinen Sohn, der als Wehrdienstverweigerer wenigstens den Dienst an der Jagdwaffe lernen soll. Zusätzliche Spannung erhält die deutsch-nationale Schieß- und Tapferkeits-Übung durch die Meldung, dass in der Region zwölf Wölfe aus dem Gehege eines Verhaltensforschers ausgebrochen sind.

Ideologien und Kampfanzug

Das empathiefreie Trio mit gesichert rechtsextremen Grundüberzeugungen (Amadeus Köhli, Stephan Schäfer und Julia Bartholome in einer überzeugenden Hosenrolle) kommt im paramilitärischen Kampfanzug auf die Bühne, sie verkörpern ziemlich genau jene Geisteshaltung, die der früherer Nürnberger Kulturreferent Hermann Glaser als „Spießer-Ideologie“ bezeichnet hat. Der Jungspund Gösch (Sascha Tuxhorn) wirkt dagegen sehr zivil mit Jutebeutel und vegetarischer Gesinnung, in den folgenden Tagen wird er zum kritischen Beobachter mit Diktiergerät und auch zum Opfer. Nicht ohne Berechtigung hat er die drei Alt-Nazis als „Spottfiguren mit einem Hang zur gemeingefährlichen Unmenschlichkeit“ beschrieben. Denn in der Dialektik von Wolf und Lamm sympathisieren sie eindeutig mit ersterem, tragen also das Menschenbild von Thomas Hobbes („homo homini lupus“) in das späte 20. Jahrhundert.

Heilig Blut Staatstheater Nürnberg

Im Bild (v.l.n.r.): Im Vordergrund: Thorsten Danner, Elina Schkolnik, Adeline Schebesch, Im Hintergrund: Stephan Schäfer, Matthias Luckey, Julia Bartolome, Amadeus Köhli. Foto: Konrad Fersterer

Es gibt zwei Todesfälle (einen Hund und einen Menschen) sowie den vermissten depressiven Knopffabrikanten Ockelmann (Matthias Luckey), der sich mög­licher­weise den Wölfen zum Fraß vorwerfen will, dann aber doch als blasphemischer Jesus am Kreuz Buße tut. In der (kapitalistischen) Kälte irrt auch noch der Angestellte Notburger (Adeline Schebesch) herum, der in kafkaesker Manie glaubt, alle Schrauben seiner Firma zählen zu müssen.

Tatort und musikalischer Rahmen

Als das Stück in das kriminalistische Tatort-Genre mutiert, kommt auch tänzerisch ein Kommissar ex machina namens Külz (Thomas Danner) ins Spiel, der aber aus Frust über seine meist erfolglose Arbeit den coolen Strand-Song „Erst mal warten“ mit Falsett intoniert. Hier wird die Inszenierung kurzzeitig vom Ideenreichtum der Regie auf Abwege geführt. Stimmig erscheint dagegen die musikalische Umrahmung (konzipiert von Tamas Matkó), bei der die Schauspieler mit schrägem Trachten-Outfit – allen voran Elina Schkolnik – mehrere Xylophone am Bühnenrand bedienen und mit erstaunlicher stimmlicher Präsenz Ausschnitte aus der Matthäus-Passion und aus Schuberts „Winterreise“ performen. In einem Lied heißt es sehr passend „Klagen ist für Toren / Lustig in die Welt hinein / Gegen Wind und Wetter! / will kein Gott auf Erden sein / Sind wir selber Götter!“

Gisela Elsners Roman, der eine abenteuerliche Editionsgeschichte hinter sich hat und eine bemerkenswerte Aktualität vorweisen kann, ist nur noch antiquarisch als Sammlerstück für knapp 100 Euro erhältlich, da lohnt sich in jedem Fall die Eintrittskarte für das Theater! Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek wären sicher begeistert.