Dieter Wedel bei den Bad Hersfelder Festspielen

Zum Tod von Dieter Wedel

Eine Erinnerung: Anfang der 80er-Jahre sah ich im Hamburger Thalia Theater „Becket oder die Ehre Gottes“ von Jean Anouilh mit Peter Striebeck und Uwe Friedrichsen in den Hauptrollen und einem vielköpfigen Ensemble. Es war ein Theater, wie es das heute kaum noch gibt (und das vielleicht auch heute niemand mehr unbedingt sehen will): Alles lebte vom Handwerk, davon, dass der durchaus komplexe Text in allen Nuancen verständlich und nachvollziehbar wurde. Das wurde erreicht durch genau disponierte Kleinigkeiten – Tonfälle, Bewegungen, Körperhaltungen… Der Regisseur dieses virtuosen Theaterabends war Dieter Wedel, der in der Intendanz von Peter Striebeck Hausregisseur am Thalia, aber eigentlich Fernsehregisseur war.

Was man seiner Theaterarbeit durchaus anmerkte. Wedel schuf eine Atmosphäre und löste die Szenen in dieser auf wie Kameraeinstellungen. 1967 kam der – vermutlich – 1939 in Frankfurt am Main geborene Wedel zum NDR, wurde Assistent von Fernsehspielchef Egon Monk und bald darauf Hausregisseur des Senders. Einige seiner hier entstandenen Fernsehspiele sind echte Kostbarkeiten, etwa „Einmal im Leben – die Geschichte eines Eigenheims“ (1972) oder „Wer den Schaden hat…“ (1981). Dieter Wedel erzählte diese Alltagsgeschichten um den Hausbau oder den Kampf um Schadensregulierung gegen die Windmühlen eines Versicherungskonzerns sehr genau, mit viel Witz und hochkarätiger Besetzung. Diese zeichnete auch die Fernseh-Mehrteiler aus, die ihn zu einer bundesweiten Berühmtheit machten wie „Der große Bellheim“ und „Der Schattenmann“ – der Witz aber ging hier verloren, vielleicht, weil die Stoffe zu groß waren und die Sender die gut gemeinte Systemkritik zur Primetime nicht mit Mitteln der Satire äußern wollten.

2002 begann Wedel dann eine Intendantenkarriere, zwölf Jahre lang bei den Nibelungen-Festspielen in Worms, ab 2015 dann bei den Bad Hersfelder Festspielen. In Worms engagierte er viel Prominenz, von Karin Beier bis Gil Mehmert, und verzichtete zwei Jahre lang auf den Nibelungenstoff zugunsten des Schicksals von Joseph Süß Oppenheimer, der bekanntlich von den Nazis durch den Schandfilm „Jud Süß“ verunglimpft worden war. In Bad Hersfeld kümmerte sich Wedel nicht nur um prominente Besetzungen und eine neue Bestuhlung, sondern erschloss auch den Stiftspark neu als „Foyer im Grünen“ und riskierte mehrere Stückentwicklungen. An beiden Stätten war der Erfolg, vor allem beim Publikum, groß.

Anfang 2018 holte Dieter Wedel die noch recht frisch entbrannte MeToo-Debatte ein. Bereits in den Jahren davor gab es immer wieder kleinere Skandale um den Erfolgsregisseur, die sich um, teilweise von ihm eingeräumte, Plagiatsvorwürfe in seinen Drehbüchern drehten, vor allem aber um sein oft cholerisches Verhalten im Umfeld der Dreharbeiten. Nun erhoben gleich mehrere Schauspielerinnen Vorwürfe über sexuelle Übergriffe, die der Regisseur zumindest nicht vollständig ausräumen konnte. Er trat von seiner Intendanz zurück und erlitt später einen Herzinfarkt. Ein Verfahren am Landgericht München war bis zu seinem Tod anhängig.  

Am 13. Juli ist der vor allem handwerklich herausragende Theater- und Fernsehregisseur Dieter Wedel in Hamburg gestorben.