Foto: Szene mit Klaus Cofalka-Adami, Marthe Lola Deutschmann, Lisa Schlegel, Gunnar Schmidt und Michel Brandt © Felix Grünschloß
Text:Andreas Jüttner, am 7. April 2017
“Angriff auf die Freiheit”, die Kampfschrift von Juli Zeh und Ilja Trojanow, wurde am Staatstheater Karlsruhe uraufgeführt.
Schon bei der Veröffentlichung 2009 wurde “Angriff auf die Freiheit”, die Kampfschrift von Juli Zeh und Ilja Trojanow gegen die Aushöhlung der Demokratie durch die Datensammelwut des Staates, als thematisch ehrenwert, aber polemisch und wenig differenziert empfunden. Das wohl vernichtendste Urteil über das Pamphlet aber fällt nun in Patrick Wengenroths Inszenierung des Textes am Staatstheater Karlsruhe bereits nach zehn Minuten: Gerade hat Gunnar Schmidt im pink leuchtenden Schlagerstaranzug den 2014 entstandenen Udo-Jürgens-Song “Der gläserne Mensch” geschmettert, da konstatiert sein Kollege Klaus Cofalka-Adami: “Damit haben wir bereits das ganze Buch für Sie dargestellt. Tja, die einen schreiben ein Buch mit 120 Seiten, der andere ein Lied mit 4:30 Länge und sagt damit dasselbe.”
Und weil das im Grunde stimmt, tut es der Aufführung nicht gut, dass sie danach noch zwei Stunden dauert. Denn auch wenn Wengenroth Interviewausschnitte von Peter Sloterdijk, Thesen des Psychoanalytikers Fritz Riemann oder das Manifest des Una-Bombers Ted Kaczynski hineinmontiert (ohne dies zu kennzeichnen), vermittelt die Aufführung nicht, warum das Staatstheater sich zum thematischen Anschluss an sein vielschichtiges und erfolgreiches NSA-Recherchestück „Ich bereue nichts“ ausgerechnet dieses dünne Textchen vorgenommen hat. Weder inhaltlich noch in der Umsetzung, die sich weitgehend damit begnügt, das Aufrüttelungs-Pathos von Zeh/Trojanow spöttisch zu ironisieren.
Die darüber hinausgehenden Einfälle lassen sich auf etwa zweieinhalb beziffern: 1) Auf bestimmte Schlüsselwörter reagiert Bühnenmusiker Johannes Mittl beharrlich mit einem akustischen Signal, ganz egal wie sinnig das gerade ist. Merke: Der Algorithmus im Netz schlägt immer an. 2) Am Anfang und in der Mitte wird das Publikum zum Mitsingen bzw. Mitklatschen aufgefordert, und fast alle im Premierenpublikum machen mit. Am Ende fordert Lisa Schlegel Unterstützung ein für ihren Protestschrei: “Frau Bundeskanzlerin, was ist Ihre Antwort?”, und keiner stimmt ein. Merke: Entertainment geht immer, Engagement interessiert niemanden. Was wiederum zu dem halben Einfall führt, das Ensemble gefühlt alle fünf Minuten einen Schlager oder Pop-Hit anstimmen zu lassen. Merke: Jegliche Protesthaltung ist längst in die Showbusiness-Routine integriert.
Aus der eigenen Kalauerfalle versucht sich die Aufführung durch Augenzwinkern zu befreien. Das gelingt auch zeitweise dank Michel Brandts lakonischer Abscheu über die Plattheit der eigenen Pointen und Marthe Lola Deutschmanns Coup, als datenverkehrshysterisches Barbie-Girl ihre höchst aparte Erscheinung zu ironisieren. Abendfüllend sind aber all diese Gimmicks nicht mal in der Summe – und um einen Denkanstoß aus der Aufführung mitzunehmen, muss man in den vergangenen Jahren schon eine ganze Menge verpasst haben.