Dreieinigkeit? Dshamilja Kaiser, Keisuke Mihara und Helena Baur in „Infinito Nero“ am Theater Bonn

Zwei Mal Nichts

Salvatore Sciarrino: Infinito Nero

Theater:Theater Bonn, Premiere:26.09.2019Autor(in) der Vorlage:Maria Maddalena de‘PazziRegie:Mark Daniel HirschMusikalische Leitung:Hermes Helfricht

Rein mathematisch gesehen ist zwei Mal Nichts: Nichts. Rechnen kann man da, so viel man will, ändern wird sich am Ergebnis: nichts. Die Abwesenheit von Allem, das große Nichts oder die unendliche Schwärze – so die Übersetzung des Titels von Salvatore Sciarrinos einaktiger Ekstase „Infinito Nero“ – ist das Thema dieser Aufführung auf der Werkstattbühne der Oper Bonn. Kaum 25 Minuten dauert das Stück, das auf Visionen der Mystikerin Maria Maddalena de’Pazzi beruht. Die sind kaum mehr als oft unverständliches Gestammel, blumige und zumeist wunderliche Ergüsse religiöser Verzückung. Sciarrino hat daraus in typisch kryptischer Manier ein minimalistisches szenisches Kammerspiel für acht Instrumente und Sängerin gemacht.

In Bonn gibt man das Stück ob der Kürze, aber auch mit dramaturgischen Hintergrund, zwei Mal: Beim ersten Mal muss das Publikum Schlafmasken aufziehen, nach der Pause gibt es dann die szenische Fassung. Der Kniff mit den Schlafmasken ist dabei ebenso schlicht wie genial: augenfälliger könnte dem Publikum das schwarze Nichts wohl kaum vor Augen geführt werden. Gleichzeitig schärft das Ausschalten des Sehsinns den akustischen und eine gegenüber der szenischen Version veränderte Aufstellung der Instrumente tut das ihre dazu, den auditiven Eindruck zu intensivieren. Das akustische Ping-Pong, das manche Instrumente spielen, den pulsartigen Rhythmus mancher Passagen oder das in bester Darth Vader-Manier geradezu beängstigende Röcheln mancher Bläser bekommt so einen viel intensiveren Charakter.

Wenn man danach die szenische Variante sieht, ist es erstaunlich, wie eng manche musikalischen Details mit den Aktionen auf der Bühne korrespondieren. Das hat zum einen durchaus offenbarenden Charakter, zum anderen lenkt es – eingedenk der Erfahrung des ersten Teils – aber sogar vom musikalischen Geschehen ab. Und das, obwohl Musik wie Szene weit davon entfernt sind, in einen irgendwie gearteten Aktionismus zu verfallen. Reizvoll sind letztendlich beide Fassungen, jede auf ihre Art, da jede andere Facetten – sowohl der eigenen Wahrnehmung als auch des Stückes – betont. Bestes Beispiel ist Dshamilja Kaiser als Maria Maddalena de’Pazzi. Ihre stimmliche Präsenz ist atemberaubend, ihr Ambitus phänomenal, ihre vokalen Nuancen schier grenzenlos. Sie reichen vom ekstatischen Flüstern und Röcheln bis hin zum kantablen, in diesem Stück zugegebenermaßen selten anzutreffenden Wohlklang. Ihre szenische Präsenz im zweiten Teil ist intensiv, aber nicht aufdringlich, sondern angemessen und immer hundertprozentig authentisch. Kaiser übernimmt dabei nur den vokalen Part, Regisseur Mark Daniel Hirsch hat ihre Partie aufgespalten und mit einer Schauspielerin, die die junge Maria Maddalena verkörpert, besetzt, und ihr einen Tänzer als „das menschgewordene Wort“ zur Seite gestellt. Am Ende stehen alle in trinitarischer Eintracht vereint und an die Kreuzigungsszene erinnernd auf der Bühne. Ein eindrückliches Bild.

Die herausragende Helena Baur verkörpert die religiöse Ekstase ihrer Figur sehr glaubwürdig und intensiv, eine Glanzleistung. Keisuke Mihara tanzt im Christuslook durch die Szene und setzt hier und da aufschlussreiche Gesten. Alles in allem ein interessantes Setting, zu dem auch die Ausstattung von Maria Strauch beiträgt. Auf der mit dunklem Stoff ausgeschlagenen Bühne ist ein großer, sich drehender Zylinder positioniert, der Textschnipsel in den Raum projiziert. Das schafft eine mystische Atmosphäre und sorgt für einen szenischen Fixpunkt. Die musikalische Seite der Aufführung ist bei den Musikern des Beethoven Orchesters Bonn, die man angesichts der geringen Zahl der Mitwirkenden gerne auch namentlich im Programm hätte erwähnen können, in den besten Händen. Hermes Helfricht sorgt für ein klares, Orientierung gebendes Dirigat, die Musiker gestalten ihre zuweilen pointilistischen Partien mit größtmöglicher Intensität und Präzision. Auch das ist herausragend. Wer „Infinito Nero“ noch sehen will, sollte sich beeilen. Aufführungen dieser in Zusammenarbeit mit dem Beethovenfest entstandenen Produktion gibt es nur noch am 28. und 29. September.