Diese missliche Ausgangslage ist Dreh- und Angelpunkt von Hengameh Yaghoobifarahs im September im Aufbau Verlag veröffentlichten Roman „Schwindel“. Shari Asha Crosson inszeniert daraus am Schauspiel Dortmund eine queere Beziehungskomödie über vier Lesben und Queers.
Wie queer bin ich?
Wie queer ist Robin, wenn sie mit einem trans Mann zusammen ist? Kommt das nicht hetero rüber? Für Delia, nichtbinär, dreht sich alles bei diesen ganzen Beziehungsbegriffen, mit denen Ava um sich wirft. Was bedeutet schon Sprache, wenn man nicht über das Handeln nachdenkt? Und mit Silvia hat sich Ava eine MILF geangelt. Wieso sollte Silvia auch mehr in der Krise sein als alle anderen Frauen in ihrem Alter in monogamen Langzeitbeziehungen?
Das Bühnenbild ist so simpel wie elegant gelöst: Alles spielt um und auf einer breiten drehbaren Treppe – als ausweglose Hochhausdachinsel, da kann es nicht nur schwindelig werden, man könnte auch fallen (gelassen werden). Oder das drehbare Treppenelement als Zentrum des verdrehten Beziehungsknäuels, oder als eine Präsentationsplattform für die vier als witzig charakterisierten Kandidat:innen der RTL-Dating-Show Princess Charming — Ava: poly, aber nicht so amor.
Die Figurendarstellung folgt eng Yaghoobifarahs Vorlage und die Kostüme unterstreichen die Charaktere (Ausstattung: Lorena Díaz Stephens). Richtig greifbar und zu eigenen Figuren auf der Bühne werden sie durch die vier Darsteller:innen, die die ganze Aufmerksamkeit des Publikums im Studio komplett auf sich ziehen und den Abend spielend tragen. Begehren ist Dauerthema im Buch und -ausdruck auf der Bühne, von der Meer-Metapher bis zum gespielten Höhepunkt. Video-Einspielungen im Hintergrund deuten sexuelle Szenen an. Die Darstellung von Begehren ist hier eine Annäherung an das, was sich für alle anders anfühlt, weg von der romantisierten Nicholas Sparks-Vorstellung hin zu „einerseits sind sie alle pervers, andererseits gierig, missgünstig und irgendwie verlogen.“
Selbstironie
Crossons Textfassung schafft eine eigene Chronologie und die Inszenierung spiegelt Klischees gegenüber Beziehungsrollenbildern vor allem mit Humor, bricht mit dem RTL-Dating-Show-Charakter. Akasha Daley als Ava im Adidas-Trainingsanzug kommt nicht gut weg als die, die Silvia ghostet, die all ihr Handeln aufs Familientrauma schiebt. Delia wird durch Rabea Lüthi zur unsicher wirkenden Person, die von ihren Gefühlen weit distanziert ist, moralisch eine klare Vorstellung hat, in der eigenen Selbstermächtigung aber stecken bleibt. Fabienne-Deniz Hammer spielt die exzentrische Vokuhila-Lesbe Robin, die sich in Identitätszuschreibungen verloren hat und Antje Prust als Silvia im lila Morgenmantel ist bereit, ihre Integrität mit allem zu verteidigen, was sie hat.
Crossons Inszenierung tut so gut, weil sie witzig ist und trotzdem feine Beziehungsmuster freilegt, weil sie gesellschaftlichen Druck abbaut. Dogmatische Glaubenssätze, auch aus manchen queeren Bubbles, die Yaghoobifarah in „Schwindel“ aufdröselt, werden in Dortmund auf der Bühne zur selbstironischen und willkommenen Unterbrechung aus der Identitätskrise.