Foto: Dimitrij Schaad und Eva Meckbach in Yael Ronens „Sabotage“ © Ivan Kravtsov
Text:Anna Opel, am 5. Dezember 2025
Therapeutin Yael Ronen nimmt das Verhältnis der Deutschen zu Israel in Blick. Ihr Held Jona Lubnik verbeißt sich in die Idee, einen umstrittenen jüdischen Philosophen zu porträtieren. Herrlich furchtlos schmeißt sich Ronen mitten hinein in den vertrackten deutschen Diskurs und verheddert sich im Plot.
Der erfolglose Dokumentarfilmer Jona Lubnik (Dimitrij Schaad) hat ein Problem. Das aus deutscher Sicht notorisch ‚gute‘ Israel widerlegt sich seit zwei Jahren mit seinem brutalen Krieg in Gaza. Und Lubnik, in Deutschland stets genötigt, Position zu beziehen, sieht ein: Er ist nicht der mutige Mensch, für den er sich gehalten hat. Noch nicht! In herrlich aufrichtigen Ergüssen rechnet Lubnik mit seiner Rolle als Jude in Deutschland ab. Das israelische Vorgehen in Gaza bezeichnet er als „Völkermord“. Es muss etwas geschehen. Er muss etwas tun.

Schauspieler Dimitrij Schaad vor der Video-Wand in „Sabotage“. Foto: Ivan Kravtsov
Lubnik, tragikomisches Klischee des sprichwörtlichen jüdischen Selbsthasses, wird mit seinem nächsten Film einen Coup landen. Er wird Jeschajahu Leibowitz porträtieren, in den 60er Jahren scharfer Kritiker der israelischen Besatzungspolitik, Prophet der unheilvollen Zukunft Israels. Israel werde sich als Folge seiner Aggression über kurz oder lang in einen faschistischen Staat verwandeln, warnte Leibowitz.
Lubniks Frau (Carolin Haupt) schüttelt indigniert den silbergrauen Pagenkopf. Über diesen Mann willst du einen Film machen? Wie bitte? Zwischen Steißbeinfistel und hochfrequenter Psychoanalyse üblicherweise ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, will Jona neuerdings Stellung im Diskurs beziehen!? Ausgerechnet jetzt einen Shitstorm provozieren? Die erfolgreiche Neurologin steht kurz davor, in die Klinikleitung der Charité aufzusteigen und wittert in der Idee ihres Liebsten den Versuch, ihre Karriere zu sabotieren. Hat sie recht?
Doppelte Therapiesitzung
In einem Setting unfertiger IKEA-Möbel (Bühne: Magda Willi), an denen die Figuren immerzu halbherzig und untalentiert herumwerkeln, umkreist die bürgerliche Mitte sich selbst und tritt auf der Stelle. Die Therapeutin (Eva Meckbach) ist von Lubniks Selbstmitleid getriggert und schwankt zwischen komischen Fluchtimpulsen und professioneller Fürsorge.
Das Tabuthema verträgt die gute Portion comic relief, die hier aufgefahren wird. Die Figuren der seit vielen Jahren in Berlin arbeitenden israelischen Regisseurin Yael Ronen strotzen vor Klischees, bleiben dabei bis auf den Antihelden Jona Lubnik überwiegend flach. Das ist weniger den Spielern als der Konstruktion anzulasten, trotzdem verschenkt. Dimitrij Schaad macht in der Rolle des verquälten Stadtneurotikers durchgehend Freude. Mit seinem ausgeprägten Talent für Ausflüchte lädt er zur Identifikation ein. In den besten Momenten haben wir es in „Sabotage“ mit einer doppelten Sitzung zu tun. Lubniks Therapeutin spiegelt ihn, Ronens Inszenierung spiegelt uns. So weit, so gut und vielversprechend.

Dimitrij Schaad und Eva Meckbach in der Therapieszene. Foto: Ivan Kravtsov
Aus der Kurve geflogen
Bald kommt ein Karussell boulevardesker Nebenstränge in Schwung. Der Bruder der lesbischen Therapeutin entwickelt infolge eines Schlaganfalls einen „blinden Fleck“ und hat Jesus-Halluzinationen, die Neurologin behandelt sein Charles-Bonnet-Syndrom, Lubniks Therapeutin behandelt die Angst seiner Ehefrau vor dem Film und so weiter. Das alles ist zuweilen lustig – und lenkt vom eigentlichen Thema ab. Ronens Talent für Wortwitz und sprechende Metaphern hinterlässt zwiespältige Gefühle. Wenn der halluzinierte Iesus mit seinem Handy die Bühne betritt, gleitet das Geschehen endgültig ins Belanglose ab und die Vorstellung, tja, sabotiert sich selbst. Immerhin sind wir dabei, wie Jona Lubnik ins Handeln kommt und sein Projekt realisiert.
„Sabotage“ ist ein Abend über das Scheitern. Kluges und weniger Kluges stehen nebeneinander und bleiben so stehen. Das alles wäre womöglich arg dünn, wenn Jeschajahu Leibowitz nicht wäre.
Aber er ist ja da. Aus Jona Lubniks Trailer für den Sender ARTE spricht er in Schnipseln einer alten Dokumentation von der Leinwand zu uns herab. Über die Gefahr des Faschismus in Israel, über die unvermeidliche Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit (Video: Stefano Di Buduo). Leibowitz formuliert gültige Gedanken über das Menschsein. Ideale seien per se unerreichbar, sagt er. Doch danach streben sollten wir.