Schöne Bilder aus der Unterwelt: Andriana Chuchman (Euridice) und Dmitry Korchak (Orphée) in der Choreographie und iszenierung von John Neumeier

Wiedervereinigung im Tänzerhimmel

John Neumeier: Orphée et Eurydice

Theater:Staatsoper Hamburg, Premiere:03.02.2019Regie:John NeumeierMusikalische Leitung:Alessandro De MarchiKomponist(in):Christoph Willibald Gluck

Am Ende ist es wieder ein Ballett geworden. Mit Hilfe des Hamburg-Balletts und Glucks tanzreicher französischer Fassung seiner Reformoper „Orpheus und Eurydike“ hat John Neumeier in Hamburg eine dramaturgisch schlüssige Interpretation im Stil seiner Ballette über Nijinsky oder Andersen herausgebracht. Uraufführung war bereits 2017 an der Lyric Opera Chicago. Biografie und Werk, Realität und Visionen vermischen sich, und Orpheus’ Verlusterfahrung wird zum Nährboden neuer Kreativität. Am Ende wird es auch bei ihm, den Neumeier als Choreographen vorstellt, ein Ballett, darstellend ein glücklich im Elysium vereintes Tänzerpaar.

Die Vorgeschichte, die Glucks Oper nicht erzählt, zeigt Neumeier zur Ouvertüre. Orpheus probt mit der Compagnie, seine Frau und Erste Tänzerin kommt zu spät, Es gibt Streit, sie ohrfeigt ihn und geht. Läuft vors Auto, das auf der Bühne sichtbar wird, rollt darunter hervor, Martinshorn. Bei Orpheus klingelt das Handy. Mit Glucks Klagegesängen verwischen sich dann die Realitäten. Man sieht die Tänzer der Compagnie, die Blumen an die Unfallstelle bringen; und Orpheus in einem kleinen Zimmer wie im Sanatorium, der seinen Schmerz aus dem Fenster in die Natur ruft. In Fieberträumen erscheint ihm seine Frau im Hochzeitskleid, jetzt getanzt von Anna Laudere, später wird sie zu der verschleierten Frau aus Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“, das über der Tür hängt und das er wohl gerade als Ballett einrichten wollte. Er selbst erkennt sich in seinem Ersten Tänzer wieder, für den er die Hauptrolle kreiert. Edvin Revazov gibt ihm männliche Frische, er ist der rettende Held, kein Trauernder. Dmitry Korchak, der den Choreographen Orpheus spielt und singt, ist gleichfalls kein sentimental Klagender, sondern protestiert mit kraftvollem, zunächst in der Höhe beengtem Tenor gegen das Schicksal.

Die Höllenfahrt, die seligen Geister – es könnten Träume, könnten Orpheus’ Ballettkreationen sein, die er im Kopfe trägt. Die drei Zerberusse sehen in ihren Schuppenkostümen jedenfalls ziemlich nach Fantasy aus, wenn sie mit wilden Drehsprüngen die Unterwelt aufmischen. Während die elysischen Geister langsam schreiten und heben, eint sich das Solistenpaar zu weicher Harmonie, die auch über den Boden führt. So meint der Choreograph Orpheus schon, seine Eurydike (jetzt wieder die Sängerin) in die Wirklichkeit zu holen. Andriana Chuchman bringt einen schön, runden Sopran ein. Das Duett allerdings besteht wieder aus Vorwürfen und Misstrauen, ihre Beziehung war sicher nie konfliktfrei (siehe Ouvertüre), und schon kippt Eurydike rücklings in die Arme der bereits das Zimmer umlauernden schwarzen Lemuren. Orpheus will sich mit ihrem Schal erdrosseln, aber der androgyne Amor, sein Assistent, rettet ihn. Marie-Sophie Pollak vermag mit ihrem silberhellen, dabei leuchtstarken Sopran wahrhaft zu begeistern.

Amor lenkt Orpheus auf die Kreation als Trauerarbeit. „Die Liebe schmerzt, schenkt aber auch Freuden“, singt er, und schon sehen wir Orpheus wieder als Choreographen bei den Proben mit der Compagnie vor dem „Toteninsel“-Prospekt. Seine beiden Solisten tragen das Weiß aus der Elysium-Szene, hier im Kunstwerk sind Orpheus und Eurydike also wieder vereint. Das hat Neumeier gut ausgedacht.

Gluck lässt allerdings noch einige Freudentänze teils volkstümlicher Manier folgen, die Neumeier als sein eigener Ausstatter in unglücklichen grünen und lila Kostümen ausführen lässt. Ob das nun der ironische Blick des Choreographen auf das konventionelle Happy End von Königs Gnaden ist, wird nicht klar. Die aus dem Liegen in Drehsprünge führenden Bewegungen hätte man sich lieber im zeitlosen Weiß der Weihnachtsoratoriums-Apotheose gewünscht. Alessandro de Marchi am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters lässt die Partitur hier und bei den Zerberussen sprudeln, fügt sich ansonsten aber zweckdienlich in den ruhigen Duktus der Reformoper.