Szene aus "La clemenza di Scipione"

Wieder ins Leben gerufen

Johann Christian Bach: La clemenza di Scipione

Theater:Landestheater Eisenach, Premiere:16.10.2021Regie:Dominik WilgenbusMusikalische Leitung:Juri LebedevKomponist(in):Johann Christian Bach

„Schmacht!“, „Zack!“ – Mit solchen Comic-Sprechblasen (auch Erikative genannt) beginnt die Barockoper im Landestheater Eisenach. Während die Worte auf der Übertitelungsleiste flimmern, erklären darunter zwei weiße, zottelige Masken die Welt: „Warum habe ich die Menschen eigentlich erschaffen“, fragt sich da „Gott“, „sie funktionieren ja doch nie wie ich will!“ Dass er recht hat, soll die Oper „La clemenza di Scipione“ von Johann Christian Bach beweisen. Es ist ein Unterfangen der besonderen Art: Das Werk des jüngsten Bach-Sohnes war seit der Londoner Uraufführung 1778 auf keiner Bühne mehr zu sehen. Und das Landestheater Eisenach hat seit 2008 keine Musiktheatersparte mehr, nun aber erstmals wieder eine eigene Operninszenierung.

Dominik Wilgenbus, Dramaturg und Regisseur, hat dem „Dramma per Musica“ eine neue Dialogfassung gegeben, den Chor gestrichen (dem schon mal 25 Partiturseiten gegönnt sind) und statt um (den Zweiten Punischen) Krieg geht es vor allem um die Liebe. Die empfindet der siegreiche Prokonsul Scipio für die spanische Prinzessin Arsinda, die aber treu zu ihrem Verlobten Luceius steht. Schwester Idalba dagegen arrangiert sich und liebt den feindlichen General Marzius. Ein anonymer Librettist schrieb die verwickelte Handlung, der jüngste Bach als einziger Opernkomponist der Familie wurde als „ein Autor mit besten Verdiensten in seiner Profession“ gelobt. 1972 soll „La clemenza di Scipio“ konzertant noch einmal in London erklungen sein, unter Sir Charles Mackerras.

Überzeugendes Ensemble

Nun also in Eisenach: Peter Engel hat einen seitlich ansteigenden Rundhorizont auf die kleine Bühne gebaut, mit sechs Scharten für Auf- und Abgänge, vor allem aber für Brautschleier. Diese überzustreifen, können die Frauen wohl kaum erwarten, weshalb Kostümbildnerin Uschi Haug sie in lange, weiße Unterröcke und Mieder gekleidet hat. Die Herren zeigen sich in heutigem Zivil. Nur Scipio streift mal einen Herrschermantel über.

Es beginnt das in Barockopern Gewohnte: Irrungen und Wirrungen der Gefühle werden in ebenso vielen Wendungen und Wiederholungen besungen: von Triumph zu Trauer, von Liebe zu Hass und umgekehrt – Intrigen nicht zu vergessen. Das junge Sängerensemble macht und meistert das fabelhaft: Sara-Maria Saalmann als Arsinda ist stolz und standhaft, agil und charmant; absolut koloratursicher mit einem nuancenreichen Sopran. Onur Abaci gibt Luceius (der als Bote Alkestis verkleidet zur gefangenen Arsinda schleicht) mit Counter-Qualitäten und ausdrucksvoll zwischen Wut und Mut noch in den kompliziertesten Koloraturen. Für beide gab es vor dem langen Schlussapplaus Zwischen-Bravi. Aber auch Martin Lechleitner (Scipio), Alexandra Scherrmann (Idalba) und Johannes Mooser (Marzius) lassen das 378 Jahre alte Werk lebendig funkeln.

Sie alle schaffen Charaktere, ohne dass ihnen eine Handlung wirklich Halt bietet. Für die heutigen Zuschauer holt Dominik Wilgenbus deshalb mit Unterstützung von Kora Tscherning auch die Puppenspieler Kerstin Wiese und Falk Pieter Ulke auf die Bühne, die in Kittel und Bademantel zu ihren Masken nicht nur das Gefühlschaos bissig kommentieren, sondern auch die nötigen Handlungs- und Hintergrunddetails liefern. Da dürfen zum langen Klagesolo auch mal – „Prost!“ – die Bierflaschen klicken.

Musikstadt Eisenach

Die Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach unter Juri Lebedev musiziert diese Bach-Oper, als täte sie nie etwas anderes. Klar konturierte Klänge lassen Gefühle und Stimmungen schon ahnen, bevor sie gesungen werden. Streicher und Bläser sind fein austariert, dienen immer den jungen Sängern. Das Spinett trägt Scipio, dessen Seele auch gekränkt ist. Denn die titelgebende „Milde“ (eher: „Güte“) bedeutet: die Liebenden zu begnadigen und selbst zu verzichten.

Für Jens Neundorff von Enzberg, neuer Intendant in Meiningen und Eisenach, ist dieses Werk von Johann Christian Bach genau das richtige Stück: „Eine Oper aus der Zeit, absolut spielenswert, praktikabel und mit gutem Humor“. Wenn es nach ihm geht, war es nicht die letzte Operninszenierung des Landestheaters – am Ort, wo Johann Sebastian Bach geboren wurde und Martin Luther die Bibel übersetzte: „Ich sehe Eisenach als Musikstadt“, so von Enzberg. Bleibt zu wünschen, dass eine Fortsetzung gelingt.