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Wider den Tod

Alain Platel/Frank van Laecke: En Avant, Marche!

Theater:Ludwigsburger Schlossfestspiele, Premiere:26.06.2015 (DE)Regie:Frank van Laecke/Alain Platel

Was bewahrt uns vor der letzten großen Angst des Lebens? Was lässt uns die Gewissheit des immer näher kommenden Todes verwinden? Am Ende wohl nur die Kunst, die uns hält und in einen größeren Kosmos eintreten lässt als ihn der Alltag je hergeben könnte. In Frank van Laeckes und Alain Platels just im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele aufgeführtem Hybridarrangement „En Avant, Marche!“ von Steven Prengels, das Schauspiel, Konzert und Ballett vereint, sucht der korpulente und an Kehlkopfkrebs erkrankte Protagonist (Wim Opbrouck) in der Musik die Trost spendende Kraft. Während er in der ersten Szene noch einsam auf dem Parkett zu einer Audio-CD das Becken schlägt, projiziert sich sein Seelenraum zunehmend auf eine echte Blaskapelle, die im Laufe des Abends mehr und mehr die Bühne für sich erobert. Zwischen Kompositionen von Elgar, Schubert oder Beethoven werden wir eines Kämpfers gewahr, der sich mal gurgelnd, mal in so grazilen wie im gleichen Zuge schwerfälligen Luftsprüngen und Tanzeinlagen gegen den Tod stemmt.

Die sentimentalen bis zu pathetischen Tonarrangements reichenden Melodien auf der Bühne umfassen das Bild einer letzten großen und unverbrüchlichen Welt, sind der Puls eines bald blutleeren Mannes. Sie bilden sein Kraftzentrum, sind Leben durch und durch. Dass sich seine Bewegungen immerzu auf dem schmalen Grat zwischen Lächerlichkeit und berührender Hingabe manifestieren, verleiht dem Stück seine vitale Dialektik. Es ist ein Wechselspiel zwischen Aufbruch und Untergang, Humor und Trauer. Innerhalb dieser Spannung suchen die Regisseure jedwede Statik zu vermeiden und nutzen die jenseits einer schimmernden Kulissenwand karge Bühne als organischen Klangraum. Indem die von Laien getragene Musikkapelle stets in neuen Formationen auftritt und sowohl als Marschzug als auch als leidenschaftlich-laute spanische Combo präsent werden kann, bricht das avantgardistische Arrangement mit konventionellen Erwartungen. 

Dada und Elegie befördern einen Bewusstseinsstrom, getragen von Liebe, Hoffnung und Verlust. Das Publikum lässt sich auf einen existenziellen Grund in der Musik zurückführen. In ihr liegt die durchaus Wagnerianische und Schopenhauerische Erfahrung des Leidens, das sich in dieser formvollendeten Seelenpartitur in ein buchstäbliches Mitleiden des Zuschauers entlädt. Der Tod des Helden ist dabei aber keiner der Aporie. Sein schlussendliches Eintauchen in die Harmonie gibt seinem Verdämmern einen Sinn.