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Dirk Laucke: Jimi Bowatski hat kein Schamgefühl

Theater:Schauspielhaus Bochum, Premiere:03.02.2013 (UA)Regie:Christina Pfrötschner

Jimi Bowatski ist ein Original. Er hat sein Leben lang Gussstücke gefeilt, doch seit gestern ist er arbeitslos. In der Kneipe hat er sich daraufhin mit seinem Kumpel Markus überlegt, dass er, wäre sein Leben ein Film, aufhören müsste, sich ausnutzen (oder wie Markus sagt: „behumsen“) zu lassen. Dann müsste er kämpfen, und so fährt er am nächsten Morgen kurzerhand mit Markus und einem Schweinebolzenschussgerät zur Villa seines Ex-Chefs, um sich seinen „Schob“ zurückzuholen. Doch dort trifft er nicht den Unternehmer, sondern lediglich auf seine Frau Elena, und ihren käuflichen Geliebten Lúc.

Dirk Laucke hat sprachlich etwas sehr Authentisch-Heutiges entworfen, auch wenn der Versuch, dialektgefärbte Redensarten, Neudeutsch und eine wohlklingende Bildsprache zu amalgamieren, hin und wieder etwas ins Beliebige abrutscht. Etwas Humor gibt’s außerdem, der sich bei der Inszenierung in einer klischeehaften Überzeichnung der Figuren widerspiegelt. Regisseurin Christina Pfrötschner hat die Figuren mit sensiblem Geschick so gestaltet, dass man auch über sie lachen kann und hat alle vier – vor allem aber Jimi (mit Martin Schütz) – großartig besetzt. Obwohl er im Stück einigermaßen platt als Superproll mit den simplen Interessen Holz, Stahl und Bier angelegt ist, man muss ihn ernst nehmen. Einzig schade ist, dass man manchmal nicht recht weiß, ob er nicht vielleicht insgesamt etwas sehr possierlich daherkommt.

Das Grundthema des Stücks ist, anders kann man es nicht sagen, brandaktuell, zumal in Zeiten, in denen in Bochum hunderte Opel-Mitarbeiter vor dem Verlust des Arbeitsplatzes stehen. Welche Protagonisten versammelt nun Dirk Laucke für diese Szenerie in seinem neuesten Stück? Da wären zunächst die beiden Verlierer Jimi und Markus. Jimi ist Verlierer, weil sein Weg, als Arbeiter ein Leben lang in derselben Firma zu arbeiten, zum Auslaufmodell wird, Markus hat im Privaten verloren, verlassen von Frau und Kind, in Behandlung wegen anhaltender Depressionen. Das Porträt dieser Verlierer ist zunächst wenig erstaunlich, und auch der Griff zur Waffe erscheint auf den ersten Blick eher vorhersehbar. Der Verlauf der Geiselnahme nimmt dann aber doch eine recht überraschende Wendung: Herr Fassbender, „Jimi sein Ex-Chef“, versteckt sich im Keller, ist ausgebrannt und gescheitert, vielleicht dement, sein Betrieb soll an die Chinesen verkauft werden: Er ist also ebenfalls ein Verlierer.

Nun ist Dirk Laucke, wie auch die Regisseurin, in den Achtzigern geboren, und vielleicht ist diesem Umstand die Tatsache geschuldet, dass es noch eine weitere Figur gibt, die gar nicht so sehr Nebenrolle ist, wie man zunächst annehmen könnte: Lúc, „thirtysomething“, der irgendwo zwischen Ich-AG, Escort-Service und dem Hoffnungs-Individualismus eines Berufsanfängers irgendwie sein Ding macht. Er schwebt zwischen bitterem Realismus und naiver Träumerei, er hat den Sozialstaat abgeschrieben und schwärmt zugleich begeistert von Jean Claude van Damme als Personifikation des amerikanischen Traums. Er richtet die von Markus mitgebrachte Kamera auf sich selbst, um die Story auszuschlachten, ist letztlich profit- und erfolgsorientiert. Dieser Lúc ist nicht so offenkundig ein Verlierertyp wie die anderen. Er lenkt den Blick in die Zukunft und wirft Fragen auf, denn er steht vielleicht für das, was entsteht, wenn die alten Berufs- und Lebensmodelle auslaufen. Schöne Aussichten wären das nicht.