Szene mit Marcel Heuperman (Ludwig) und Katharina Pichler (Martha)

Werktreue par exzellence

Franz Xaver Kroetz: Mensch Meier

Theater:Residenztheater, Premiere:10.01.2016Regie:David Bösch

Ziemlich old school ist sie, diese Inszenierung. Und das ist auch ein Statement für einen eher jungen Regisseur wie David Bösch. Schließlich scheint das Augenmerk bei Nachwuchs-Regisseuren ja vor allem darauf gerichtet zu sein, wer am radikalsten, wildesten und hippsten inszeniert. Doch vielleicht ist es ja am radikalsten, einfach mal eine Geschichte zu erzählen. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

David Bösch tut genau das. Im Marstall, der ehemaligen Münchner Hofreitschule, die vom Residenztheater bespielt wird, inszeniert er Franz Xaver Kroetz‘ Volksstück „Mensch Meier“ aus dem Jahr 1978. Ein echter Kroetz: sozialkritisch, gemein, verhaftet in der BRD seiner Zeit. Regisseur und Stück sind ein Jahrgang – und verschmelzen zu einer Einheit. Denn Bösch hält sich an seinen Kroetz. Er erfindet nichts hinzu, lässt wenig weg. Ein paar Szenen werden umgestellt, ansonsten: Werktreue par exzellence.

Patrick Bannwart hat eine überdimensionierte Schrankwand auf die Bühne gebaut, eine ehemals moderne Möbelhaus-Wohnlandschaft. Praktisch zwar. Schön weniger. Mit ein paar Handgriffen wird das Bett des Sohnemanns aus der Wand geklappt, umgeben von den Insignien einer 80er-Jahre-Jugend: Alf-Figur, Bravo-Poster, Dartscheibe, Skateboard. Über dem Ehebett hängt ein verblichenes Hochzeitsfoto und eine silberne 25 aus Pappe.

Hier haust also die Familie Meier, die da sind: Vater Otto, Arbeiter bei BMW, Mutter Martha, Hausfrau, und Sohn Ludwig, Faulenzer vor dem Herrn. Die Lehrstelle, die seine Eltern für ihn vorgesehen haben – Bankkaufmann oder Zahntechniker -, findet er nicht. Maurer will er werden, doch da hat man kein Ansehen. Wissen die Eltern aus Erfahrung. Der Bua soll erfüllen, was der Vater vergeigt hat. Eine Karriere soll er machen. Die ist aber nicht in Aussicht, drum schläft er in seinem Schrankbett, bis die Mutter ihn allmorgendlich mit Star-Wars-Wecker und Staubsaugerbrummen aufweckt.

Marcel Heuperman, neu im Ensemble, wälzt sich in einem zu klein gewordenen Schlafanzug aus dem Bett. Getröstet allein von Cornflakes und Schokolade, fristet er ein trauriges Dasein als Fußabtreter seiner Eltern. Dass aus ihm eh nichts wird, hat sein Vater ihm so oft gesagt, dass er es wohl selbst schon glaubt. Mutter Martha dagegen stellt klar, dass der Vater ein Versager ist: „Dein Papa, das ist doch keine Existenz!“ Katharina Pichler spielt sie als treue Ehefrau, die manch Demütigung ihres Mannes stillschweigend hinnimmt, sich aber längst keine Illusionen mehr macht über den Zustand der Ehe. Norman Hacker ist Otto, der Mensch Meier, der das Menschsein irgendwann verlernt hat im Trott der Fließbandarbeit, des fremdbestimmten Lebens, das mit seinen Träumen so gar nichts zu tun hat. Denn Otto träumt vom Fliegen. In den Zwischenzeiten seines Lebens zieht es ihn in seine Modellwerkstatt, wo er seine Fliegermütze aufsetzt und sich selbst interviewt: „Otto Meier, Europameister im Langstreckenmodellsegelfliegen“. Dann übt er Siegerposen, singt leise „Über den Wolken“ und träumt von einem Leben, das nicht das seine ist. Norman Hacker zeigt all die Facetten dieses Durchschnittmannes, der ein kleiner ist, aber so gern einmal ein großer wäre. Der selbst erkennt, dass er ein Arschloch ist, das aber nicht ändern kann. Selten war Hacker so authentisch, so wenig artifiziell, so nah an seiner Figur.

Als Ludwig 50 D-Mark aus der Haushaltskasse klaut, flippt Otto aus. Er beginnt, seinen Sohn zu durchsuchen. Überschreitet Grenzen. Ludwig muss sich ausziehen. Und mit jedem Teil, das er auszieht, verwandelt sich sein anfangs stilles Amusement über den schrulligen Vater in fassungsloses Entsetzen. Am Ende steht er da, der Ludwig, nackt, die Unterhose an den Knien hängend, starrt den Vater an – und erkennt. Wie Heupermann da ohne große Gesten zeigt, wie in diesem spätpubertierenden Jungen der Glaube an den Vater zerbricht, ist großartig.

Bösch inszeniert seine Figuren genau, zeigt sich als großer Menschenbeobachter und lässt sich ganz auf diese kleine schlimme Geschichte ein. Er nimmt seine Figuren ernst, denunziert sie nicht, sondern begegnet ihnen mit großer Zuneigung. Er biegt das Stück nicht zurecht aufs Hier und Jetzt, sondern lässt es, wo es hingehört: in den späten 70er, frühen 80er Jahren. Alles an diesem Abend ist irgendwie aus der Zeit gefallen, ein Blick zurück ohne Zorn. Bösch erzählt eine Geschichte aus einer anderen Zeit. Der Mensch aber mit all seinen Kränkungen und Verletzungen, die er an andere weitergibt; die Mechanismen von Erniedrigung und Erniedrigen, sie sind die gleichen geblieben.