Foto: Cornelius Danneberg und Kathrin Berg in "Schmerzliche Heimat" nach dem Buch von Semiya Simsek und Peter Schwarz an der Badischen Landesbühne Bruchsal © Sonja Ramm
Text:Manfred Jahnke, am 5. Februar 2017
Wie hält man das aus, dass, wenn der Vater ermordet wurde, dieser bzw. die Familie von den Fahndern mit Verdächtigungen fertiggemacht und am Trauern gehindert werden? Und erst elf Jahre später der wahre Sachverhalt öffentlich wird: Da konnten, unter dem Radar deutscher Behörden, Hass-Rassisten Menschen hinrichten, deren Namen nicht deutsch klingen. Ein Polizei- und Verfassungsschutzskandal, in dem nach wie vor alles daran gesetzt wird, eben diese entscheidende Frage zu verschleiern: Wie konnte das alles unter den Augen der Ämter in Deutschland geschehen?
Zusammen mit dem Journalisten Peter Schwarz hat Semiya Simsek, die Tochter des ersten, 2000 vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) hingerichteten Opfers Enver Simsek ein Buch über die leidvollen Erfahrungen ihrer Familie nach dem Tod ihres Vaters geschrieben, das 2013 erschienen ist. Christian Scholze hat aus diesem 2014 eine Bühnenfassung erstellt, die die Vor- und Nachgeschichte(n) des Buches weg lässt. Scholze hält grundsätzlich am Erzählduktus der Vorlage fest, aus dem heraus immer wieder kleine Dialogszenen entstehen. Der Bearbeiter konzentriert dabei die Handlung auf jene Szenen, in denen die Auswirkungen der Verhöre und Verdächtigungen auf die Familie im Mittelpunkt stehen. Im Hintergrund steht auch die Frage nach der Grundsituation der zweiten Generation türkischer Immigranten, wie Semiya sie formuliert: „Für Papa war seine Heimat die Türkei. (…) Meine Heimat ist Deutschland. Wie soll das gehen?“ „Schmerzliche Heimat“ – eben.
Was hier erzählt wird, ist ein sehr persönlicher und hochemotionaler Stoff zugleich. Um zu verhindern, dass die Wut auf die Verhältnisse, wie sie leider immer noch sind, nur auf der Bühne kocht, greift Carsten Ramm als Regisseur an der Badischen Landesbühne Bruchsal zu einem einfachen Mittel: Im Bühnenbild von Tilo Schwarz, das an ein Treibhausambiente erinnert, konzentriert er das Spiel auf drei Darsteller, die als Erzähler distanzierend vom Geschehen berichten. Dabei wird strikt die Perspektive der Semiya eingehalten. Kathrin Berg macht das fast performativ aus einer Grundhaltung heraus, die gelegentlich Schmerz erahnen lässt, sich aber fragend nicht unterkriegen lassen möchte. Evelyn Nagel als Mutter und vor allen Dingen Cornelius Danneberg, der in ganz verschiedenen Rollen auftritt und sie nur ganz schlicht ankündigt: „Der Kommissar fragte….“, überzeugen in diesem Minimalismus. Es geht nicht um Sensationen, sondern es geht um scheinbar Alltägliches, wie auch die Kostüme von Kerstin Oelker unterstreichen, Hausklamotten mit Pullovern.
Weil es keine Kostümwechsel und nur wenige Aktionen auf der Bühne gibt, dafür eine Konzentration auf das Wort und das angedeutete Gefühle, wird eine der Schwächen der Stückvorlage offensichtlich: Christian Scholze hat die Sprache des Buches einfach übernommen, ohne sie für das Theater zu formen. Das muss auch Carsten Ramm erkannt haben, als er mit Ulrich Hartmann einen exzellenten Schlagzeuger und Keyboarder engagiert hat, der genau das in das Spiel einbringt, was das Spiel selbst verweigert. Emotion pur. Es ist famos, wie er wie in Trance im Schlagzeugwirbel Wut anzeigt und mit ganz leisen Tönen auf seinem Keyboard Träume von einem schönen Leben herauskitzelt. In diesem Zusammenpiel von Musik und Erzählung findet die Aufführung einen überzeugenden Ausdruck, noch bestärkt durch den eher fragend-staunenden Gestus der Inszenierung.