Foto: Jonathan Kempf, Josefin Platt, Andreas Döhler, Thilo Nest und Stefanie Reinsperger (v.l.) in "Glaube und heimat" von Karl Schönherr am Berliner Ensemble © Matthias Horn/Berliner Ensemble
Text:Manfred Jahnke, am 6. Dezember 2019
„Glaube“ und „Heimat“ sind zwei vergiftete Begriffe. In deren Kombination deutet sich Ausgrenzung an und darüber hinaus die Herrschaft einer Leitkultur an, die, wenn es sein muss, sich auch mit Mord durchsetzt. 1837 noch verbannten Menschen katholischen Glaubens in einem Tiroler Tal ihre protestantischen Mitbürger, eigneten sich weit unter dem eigentlichen Wert deren Land an, wobei auch reichlich Blut floss. 1837, längst nach dem Toleranzedikt und schon in der Postaufklärung, ereignete sich das Vorkommen, das so unbegreiflich ist, dass der in Tirol geborene Karl Schönherr (1867 – 1943) die Handlung in die Zeit der Gegenreformation zurückdatierte, als er auf den Stoff stieß. Dennoch ist „Glaube und Heimat“, 1910 uraufgeführt, nicht nur „Heimatkunde“, sondern lässt sich auch als Parabel darauf lesen, was „Glaube“ mit Menschen anstellen kann, die ihre „Heimat“ lieben. Was nichts an Aktualität eingebüßt hat. Als jüngeres Extrem-Beispiel wäre der Bosnienkrieg zu erinnern.
Eine der Stärken des Textes von Schönherr, der ja eigentlich nicht mehr auf den Spielplänen der Theater zu finden ist, weil er nach dem Anschluss Österreichs Sympathien für die Nationalsozialisten gezeigt hat, ist, dass er Strategien und Verhaltensweisen derart pervertiert „Glaubender“ und „Heimatliebender“ in schärfster Konsequenz vorführt. Christoph Rott, der in eine katholische Familie hineingeheiratet hat, und sich eigentlich nicht bekennen will, tut dies, nachdem er zusehen musste, wie der katholische Reiter (mit dämonischen Zügen: Ingo Hülsmann) die Nachbarin Sandpergerin (von Kathrin Wehlisch wie in einer Passion gespielt) ermordet. Während Sandperger (Martin Rentzsch) am Ende seinen Glauben abschwört, um in der Heimat bleiben zu können, aber nicht begreift, wie überflüssig er damit den Tod seiner Frau macht, übernimmt Rott alle Konsequenzen. Andreas Döhler spielt einen kernigen, aufrichtigen Burschen, der nur notgedrungen den Kämpfer spielt. Ein wenig erinnert er an Wilhelm Tell, nur, dass hier am Ende nicht das Symbol eines politische Kampfes (wider Willen) um Freiheit entsteht, sondern eine private versöhnende Geste: Nachdem der Reiter den Spatz, den einzigen Sohn der Rotts, der übrigens im katholischen Glauben erzogen wurde, getötet hat, rastet der Vater aus und greift den Reiter mit bloßen Händen an. Er hat ihn so fest im Griff, dass er ihn töten könnte. Erschöpft lässt er aber den Röchelnden los und reicht ihm versöhnend die Hand, die der Reiter dann zögernd annimmt, eine Handlung, die die Rottin zum letzten Satz hinreißt: „Christoph, du bist ja völlig über ein Menschen!“
Stefanie Reinsperger spielt die Rottin großartig. Sie changiert zwischen erbitterter Wut und ganz feinen Liebesbekundungen. Wie die beiden immer wieder zu ganz verzagt-zarten Körperberührungen kommen, gehört zu den Stärken der Inszenierung von Michael Thalheimer am Berliner Ensemble, wie überhaupt die Arbeit mit den Schauspielern viele psychologische Feinheiten zeigt. Josefin Platt beispielsweise gelingt als Großvater Rott als eine ganz feine Studie eines Menschen, der sein Ende nahen sieht und die Wirklichkeit eigentlich nicht mehr begreifen möchte. Barbara Schnitzler, ganz in Schwarz (Kostüme: Nehle Balkhausen), spielt die strenge Mutter der Rottin, die ihre verlorenen Schäfchen wieder einsammeln möchte. Laura Balz stellt Spatz, den Sohn, als aufmüpfiges Kind dar, das sich seine eigene Phantasiewelt schafft. Mit dabei sind Tilo Nest als Englbauer, der alle Höfe von denen, die ihre Heimat verlassen müssen, um billiges Geld für seine Kinder aufkauft, Jonathan Kempf als Peter, Gerit Jansen als Schwager und Veit Schubert als Baden und Schreiben.
Wenn „Thalheimer“ drauf steht, weiß man, dass die Handlungen entschlackt und kondensiert werden, dass die so entschälten Kerne die Handlungen in ihrer aktuellen Bedeutung freilegen sollen. Das funktioniert hier sehr gut. Auch sonst bewähren sich die Mittel seiner Methode: das frontale Spiel in der Nähe der Rampe zum Publikum hin, die Kürze der Szenen, zwischen denen die Drehbühne kreist und harte rhythmische Musiken von Bert Wrede, die die Szenen trennen und sich auch sonst an Filmmusiken orientieren. Ein hoher Wandturm dominiert das Bühnenbild von Nehle Balkhausen, dessen Betäfelung bei den Umdrehungen kupferartig glänzt, in den Szenen aber meist trist grau erscheint. Wie überhaupt die Lichtstimmungen von Ulrich Eh mehr mit dem Dunkel als dem Hell arbeiten. Bildnerisch erinnert die Lichtgestaltung an Arbeiten aus der Rembrandtschule.