Zinzi Frohwein sitzt als falsche Angèle auf dem Porträtstuhl in einem Fotoatelier. Der Zar (Hyunkyum Kim) steht hinter ihr und betätigt den Auslöser der Kamera über eine Schnur.

Zar ohne Zimmermann

Kurt Weill: Der Zar lässt sich fotografieren / Die sieben Todsünden

Theater:Pfalztheater Kaiserslautern, Premiere:04.05.2025Regie:Martina VehMusikalische Leitung:Olivier PolsKomponist(in):Kurt Weill

Am Pfalztheater Kaiserslautern kombiniert Martina Veh „Die sieben Todsünden“ von Kurt Weill mit dessen Buffo-Oper „Der Zar lässt sich fotografieren“. Sie schafft es, die beiden stilistisch so unterschiedlichen Werke miteinander in Beziehung zu setzen, ohne auf alles eine Antwort zu haben.

Zu feiern ist der Komponist Kurt Weill in diesem Jahr wegen seines 125. Geburts- und seines 75. Todestages. Somit gibt es bei ihm eigentlich immer zwei Anlässe runde und halbrunde Jubiläen zu begehen. Am Pfalztheater in Kaiserslautern hat man dafür zwei Werke zusammengepackt, die im Abstand von fünf Jahren uraufgeführt wurden, doch unterschiedlicher kaum sein könnten. Das Ballett mit Gesang „Die sieben Todsünden“ auf einen Text von Bertolt Brecht zeigt die bittere Odyssee des Mädchens Anna, das von seiner Familie in Louisiana ausgeschickt wird, um in den „großen Städten“ Karriere und vor allem Geld zu machen. Die Opera buffa in einem Akt „Der Zar lässt sich fotografieren“ auf das Libretto von Georg Kaiser ist eine Farce: ein bisschen zweideutig, ein wenig grotesk, etwas satirisch.

Alles auf Anfang

Die Handlung um einen imaginären Zaren, der sich im Atelier der Pariser Starfotografin Angèle ablichten lassen möchte, dabei an anarchistische Verschwörer gerät, die ihn töten wollen, ist nicht unwitzig und originell. Das Attentat misslingt, auch weil der Zar plötzlich mehr an der falschen Angèle interessiert ist, die gegen die richtige ausgetauscht wurde, und nie vor der Linse des Fotoapparats, die durch einen Revolver ersetzt wurde, zur Ruhe kommt. Die Polizei vertreibt schließlich die Attentäter, der Zar bekommt sein Foto, die Fotografin wird berühmt.

Die Regisseurin Martina Veh setzt Komik gut dosiert ein, macht die Attentäter nicht zu reinen Knallchargen, den Zaren nicht zum Affen, Angèle nicht nur zur promigeilen Fotografin. Sie verwendet realistische Elemente wie das Fotoatelier mit dem entsprechenden Inventar, Telefon, Türklingel und Grammophon und bezieht sie auch in die dramatische Handlung mit ein. In die Mitte der offenen dunklen Bühne (Thomas Dörfler) stellt sie einen übergroßen Stuhl, der im Verlauf des zweiten Stückes in seine Einzelteile zerlegt wird. Er erinnert an einen Thron, ist gleichzeitig aber der Stuhl, auf den sich alle setzen müssen, um porträtiert zu werden, um ein Bild von sich abzuliefern, das nicht der Realität entsprechen muss: Der Zar träumt von einem Leben ohne Politik, die Fotografin von ihrer Berühmtheit, die Anarchisten träumen vom Umsturz. Am Ende bleibt alles beim Alten, zurück zum Anfang: Der Zar lässt sich fotografieren.

Alles anders

Oder auch nicht! Denn der zweite Teil des Abends beginnt nicht mit der ersten Nummer der „Todsünden“, sondern mit einem neuen Ende des „Zaren“. Die falsche Angèle kommt zurück, erschießt den Zaren und die Fotografin. Und das Volk, also der Chor, der vorher im Publikum verteilt war, vom Zuschauerraum aus kommentierend eingriff, steht auf der Bühnenseite und tut, als wäre nichts gewesen. Das ist dann deutliche Zeitkritik! Die Szene markiert gleichzeitig auch den Übergang zum zweiten Stück, dem 1933 in Paris uraufgeführten Kurzballett „Die sieben Todsünden“. Und auch hier schafft es die Regisseurin, Kritik mit Kunst zu verbinden.

Die in Anna I (die Sängerin, die ‚Vernünftige‘, die Managerin) und Anna II (die Tänzerin, die zur Ware Degradierte) aufgeteilte Protagonistin, spaltet Veh weiter auf. Die Sängerin bekommt sieben Tänzerinnen und Tänzer zur Seite gestellt, die im Verlauf der sieben Kapitel ihre individuellen Kostüme (Christl Wein) ablegen, ihre Haut gewissermaßen abstreifen, zu Markte tragen und sich das fleischfarbene Kleid der Anna I überstreifen. So wie im Zuge der Reise durch die USA Anna I ihre elementaren menschlichen Bedürfnisse leugnet, vereinheitlichen sich die Tänzer auch in ihren Bewegungen. Dass die Familie Annas, die durch ein Männerquartett dargestellt wird, die gegenwärtige amerikanische Gesellschaft vertritt, ist durch die Kostüme angedeutet.

Schön sachlich bleiben

Olivier Pols dirigiert die im Stil der Neuen Sachlichkeit komponierte, klar und einfach sich aussprechende freitonale Zeitoper mit viel Sinn für boshafte Würze und der nötigen Lockerheit im Gefühl, im Kurzballett mit stark aufgewertetem Streicherklang. Astrid Vosberg singt Anna I unpathetisch und trocken. Zinzi Frohwein ist eine kecke falsche Angèle, Tobias Haaks ein tenoraler Anarchistenanführer, wie man ihn sich wünscht, und Hyunkyum Kim ein baritonales Weltergewicht als erotisch-vertrottelter Zar.

Der Regisseurin Martina Veh gelingt es in beiden Stücken, die Mitte zwischen Konkretheit und Abstraktion, Komik und Ernst, Gegenwart und Zeitbezug zu wahren. Und mit dem spielfreudigen Ensemble des Pfalztheaters, den Sängerinnen und Tänzerinnen sowie der Pfalzphilharmonie Kaiserslautern hat sie alles, was es für ein gemischtes Weill-Doppel braucht. Der zum Schluss angehängte Choral von Adam Drese „Nun ist alles überwunden“ spendet Trost, wo keiner nötig ist.