Eheidyll nach über 20 Jahren?

War es mehr als Nachbarschaft?

Éric Assous: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Theater:Komödie im Bayerischen Hof, Premiere:26.04.2018Regie:Jean-Claude Berutti

Regisseur Jean Claude Berruti inszeniert die nachdenkliche Komödie von Eric Assous unaufgeregt und konzentriert alles auf seine beiden Darsteller Alexandra von Schwerin und Mathieu Carrière.

Mit der Wahrheit ist es ja so eine Sache. Wo fängt sie an? Wo hört sie auf? Gibt es sie überhaupt, die eine Wahrheit? Wie wahr ist die eigene Lebens- und Liebesgeschichte? Wem erzählen wir was? Und wie viele Versionen der Wahrheit gibt es? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der tunesisch-französische Autor Eric Assous in seinem Zwei-Personen-Kammerspiel „Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“, das Jean-Claude Berutti jetzt in der Komödie im Bayerischen Hof in München inszeniert hat.

Marianne und Serge sind seit über 20 Jahren verheiratet, haben sich eingerichtet in ihrem Leben, das man von außen glücklich nennen könnte – vielleicht aber auch einfach bequem. Da schlägt der Zufall zu: Marianne hat einen kleinen Auffahrunfall, der Unfallgegner ist der Cousin von Serges ehemaliger Nachbarin. Vielleicht aus Langeweile, vielleicht aus einer Ahnung heraus will Marianne endlich wissen: Was war da damals mit der attraktiven Sophie? Wirklich nur Nachbarschaft? Der „Sprung in die Vergangenheit“ wird zu ihrer fixen Idee, genährt vom offensiven Desinteresse ihres Mannes. Alexandra von Schwerin spielt die Marianne und zeichnet glaubhaft nach, wie aus einem Funken Neugier mehr wird, wie die Harmlosigkeit des eigenen Mannes auf einmal verdächtig scheint. Sie rauscht auf die Bühne und reißt ihren Serge aus seiner blau-rot-gestreiften Bademantel-Gemütlichkeit mit Tee und „Le Monde“. Mathieu Carrière gibt den Coolen, der mit seiner betont lässigen Art aber nicht vermag, seine Frau von ihrer Witterung abzubringen. Denn sie will jetzt ganz genau wissen, wie das damals war – und schnell ist klar: Da war mehr als nur Nachbarschaft. „Viele Gesten, sehr wenig Worte“, spielt Serge die lange verschwiegene Affäre mit Sophie herunter und wird doch ein wenig nostalgisch dabei.

Assous untersucht in seinem Text die Mechanismen der Verliebt- und Gewohnheit, schraubt seine Dialoge in – wie Serge formuliert – „surreale“ Gefilde, in denen eine einwöchige Affäre vor 30 Jahren zur Härteprobe einer langjährigen Ehe wird. Eine Notlüge, die damals praktischer schien, fällt nach Jahrzehnten auf Serge zurück – und bringt sein gesamtes Leben ins Wanken. Bis wohin das Ganze ein Spiel ist und wo der Funken Ernst liegt, bleibt lange in der Schwebe. Klar ist schnell: Der Anfang ihrer eigenen Beziehung wird durch die Affäre, die Serge nun eingesteht, rückwirkend mit einem Fragezeichen versehen. Warum hat Serge damals gelogen? Warum hat er abgestritten, mit Sophie geschlafen zu haben? Wie geht man mit der eigenen sexuellen Vorgeschichte um, wenn man frisch verliebt ist? Vor allem, wenn diese Vorgeschichte im gleichen Haus wohnt? Ist es angeberisch und taktlos, von vorangegangenen Partnern zu sprechen – oder schlicht ehrlich? Ist man selbst die erste Wahl oder doch nur ein Notnagel?

Wo Mariannes Besessenheit vom Thema zunächst abstrus scheint, kommen nach und nach immer mehr Details heraus, die an Serges Saubermann-Image kratzen. Assous gelingt es, unauffällig jede Menge Psychologie und Lebenserfahrung in seine kleine Komödie zu packen. Berutti inszeniert unaufgeregt und konzentriert alles auf seine zwei überzeugenden Darsteller. So wirft der Abend locker und leicht Fragen auf, die nachhallen.