Foto: Das Zeppelin-Ensemble auf dem Boden der Schaubühne © DRAMA
Text:Barbara Behrendt, am 20. September 2017
Das Großartigste an diesem Abend ist das Fritschsche Bühnenbild. Der Stoffvorhang saust mit einem Knall herunter – und da steht er: der gigantische Zeppelin. Ein eiskaltes, schweres Metall-Skelett, ein totes Gerippe, das nur noch sehr entfernt an den Traum vom Abheben, Fliegen, Leichtsein, von Glück und Melancholie erinnert.
Wenn der Musiker Ingo Günther, wie ein Horváthscher Zauberkönig in Frack und Zylinder gekleidet, von seinem Keyboard am Bühnenrand aus die Tasten drückt, dann schlagen akustisch verstärkte Hämmerchen an das Metall des Schiffbauchs – düstere, unheimliche Töne, als läge man mit dem Skelett eines Wals auf dem schwarzen Meeresgrund.
Eindeutig, dass zu diesen Jenseitsklängen nicht der naturalistische Horváth der zeitkritischen Volkstücke passt, der die Menschen in seinen gesellschaftlichen Verhältnissen zeigt. An diesem Horváth ist Herbert Fritsch auch gar nicht interessiert. Es ist das Düstere an den Texten, das Geisterbahn- und Zirkushafte, das Abnorme und Skurrile, das Übersinnliche und Mystische, das der Regisseur ausloten möchte. Dafür greift er sowohl Fragmente aus dessen Nachlass auf, das todtraurige und doch so leicht-lustige „Sportmärchen“ etwa, aber auch Sequenzen aus „Kasimir und Karoline“, „Glaube, Liebe, Hoffnung“ und den „Geschichten aus dem Wienerwald“.
Allerdings lässt Fritsch seine acht Schauspielerinnen und Schauspieler (sechs von ihnen gehören zu seiner Stamm-Truppe) Szenen nicht komplett spielen, sondern er mischt sie wild durcheinander, bis jeder Sinnzusammenhang abhanden kommt. Aphorismen werden zitiert, Zitate herumgeworfen, mit einzelnen Sätzen wird jongliert, bis nur Fetzen, Fragmente, Versatzstücke bleiben, die höchstens der Kenner identifizieren kann – doch selbst der wird wenig damit anzufangen wissen. Hier ein „Denken tut weh!“, dort ein „Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur so selten dazu“, oder ein „Jeder Epoche die Epidemie, die sie verdient“. Hier einmal der Ruf nach der Achterbahn oder die Begutachtung des Gorillamädchens (beides aus „Kasimir und Karoline“), dort einmal das Anatomische Institut mit seinen Leichen (aus „Glaube, Liebe, Hoffnung“) oder die süßen Bonbons (aus „Geschichten aus dem Wienerwald“).
Wie so oft bei Fritsch, wenn er sich einer literarischen Vorlage bedient, die aus dem Realismus oder dem Naturalismus stammt, oder schlicht auf Figuren mit Psyche und sozialer Herkunft baut, werden die Texte bis zur Unkenntlichkeit verfremdet und sinnzerstückelt.
Darüber kann man in Fritschs Inszenierungen manches Mal hinwegsehen – schließlich sind die Spieler mit solcher Verve, so großer Virtuosität, Lust und Komik bei der Sache, dass der Spaß beim Zusehen die zerhäckselte Sprache wettmacht.
Hier jedoch wird das monströs-grandiose Bühnenbild der sonst so genialen Choreographie zum Verhängnis. Diesen acht Spielern, die sich als biestige, kleine Nörgel-Bratzen mit Zöpfchen und den grellen Comic-Kleidchen von Victoria Behr durch den Abend quengeln, allen voran die tolle Fritsch-Debütantin Jule Böwe, bleibt nicht besonders viel, denn die Zeppelin-Streben als Klettergerüst zu benutzen. Das kann zur wunderbar slapstickhaften Akrobatik-Nummer mutieren – die meiste Zeit aber hängen die Schauspieler in den Stahlrippen, ruckeln ein bisschen hin und her und wissen selbst nicht so recht, wohin mit sich. Auch die Gänge um den Zeppelin herum sind alles andere als aufregend synchronisiertes Körpertheater. Gemeinsam mit den ebenfalls unverbundenen Text-Fragmenten ermüdet das alles auf Dauer sehr – man sah es zuweilen auch den schweren Lidern im Publikum an.
Zuletzt steigt das schwere Eisenschiff dann doch noch in die Luft. Ein erhebendes Bild. Melancholisch verklärte Schauspieler-Gesichter. Es war zuvor jedoch viel zu lang am Boden festgesteckt.