Foto: „Taxi nach Drüben“ von Philipp Löhle am Theater Ulm mit Frank Röder, Stefanie Schwab, Maurizio Micksch und Emma Lotta Wegner. © Marc Lontzek
Text:Manfred Jahnke, am 9. November 2025
Am Theater Ulm inszeniert Philipp Löhle die Uraufführung seines Stücks „Taxi nach Drüben“ über eine deutsch-deutsche Episode, die im Rückblick wie eine Farce wirkt. Aus der wahren Geschichte eines Ulmer Taxiunternehmers, der als Doppelagent zwischen BRD und DDR verkehrt, entwirft Löhle eine Agentenkomödie, die Groteske mit verharmlosender Parodie vermischt.
Wahre Geschichten haben im Rückblick etwas Absurdes. Was dem Ulmer Taxisunternehmer Herrmann Reisch aus Westerstetten widerfahren ist, klingt unglaublich. Zumal die Erinnerung an die Zeiten, als es in Deutschland eine existente Bundesrepublik und eine offiziell nicht existente DDR gab, entschwindet. Was Reisch erlebt, ist eine der deutsch-deutschen Geschichten, die damals von den Betroffenen als Alptraum empfunden, heute zur komischen Farce mutieren.
Reisch fährt 1979 eine Kundin nach Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), wird dort von einem Agenten der Staatssicherheit geködert. Er vertraut sich dem Verfassungsschutz an, wird zum Doppelagenten, der in Neu-Ulm die Bewegungen der Pershing I-Batterien auskundschaftet. Andererseits reicht er die Verschlüsselungsmethoden der Stasi nach Bonn weiter. Er fliegt 1984 auf, wird in Gera verhaftet, in das berüchtigte Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen gebracht. Zum Geständnis gezwungen, erfindet er dabei eine neue Geschichte zur Anwerbung durch den Bundesnachrichtendienst. Er wird zu zwölf Jahren Haft verurteilt, von denen er zwei Jahre im Zuchthaus Bautzen verbringen muss. Dann wird er ausgetauscht.
Schwindelerregender Bühnenraum
Der Autor Philipp Löhle entdeckte diese Geschichte in einem Magazin, bot das Thema dem Theater Ulm an und dieses griff zu. Mehrere Tage interviewte er Hermann Reisch und schrieb eine Art Agentenkomödie. Maurizio Miksch spielt diese Figur groß aus. Ein unpolitischer Mensch, der naiv als braver Familienvater in das Agentenleben hineinrutscht. Nicht zuletzt lockt das Geld, denn er ist hoch verschuldet. Begeistert nimmt er immer mehr diese Rolle an, um dann in der Haft verzweifelt seinen Frust herauszubrüllen. Wie am Anfang der Uraufführungsinszenierung von Philipp Löhle ein Familienbild mit Würstchen und Senf und Teddybären steht, so auch am Ende (allerdings ohne Würstchen).

„Taxi nach Drüben“ von Philipp Löhle am Theater Ulm mit Frank Röder, Maurizio Micksch, Emma Lotta Wegner und Stefanie Schwab. Foto: Marc Lontzek
Der eigentliche Clou dieser Aufführung ist der Bühnenraum von Ulrich Leitner, der die tollen Möglichkeiten des Podiums, der kleinen Bühne des Theaters Ulm, voll ausschöpft: Das Publikum sitzt auf Drehsesseln, das Spiel findet rundherum statt. Das Ensemble hastet über die Podeste und den darauf aufgebauten Bildern, die Orte markieren: einen Tisch für die Küche, ein Raum für die Agentenbüros, etc. Löhle setzt dieses Mittel auch zwischen den Szenen ein, so dass einem auf den ewig drehenden Sessel schwindlig wird.
Groteske Übersteigerungen
Leitner hat auch die Kostüme geschaffen, die eine gewisse Einheitlichkeit haben. Alle tragen hellbraune Hosen und Krawatten. Miksch und Stefanie Schwab als seine Frau Reisch tragen braune Lederwesten. In einem atemberaubenden, oft fliegenden Rollenwechsel müssen Frank Röder, Stefanie Schwab und Emma Lotte Wegner Uniformjacken, Mäntel und Mützen aus- und anziehen: Das Spieltempo ist hoch, zumal Löhle das Ensemble immer wieder zu grotesken Übersteigerungen antreibt. Allerdings vermischen sich Groteske und (verharmlosende) Parodie allzu oft wie in der Veralberung des Stechschritts der DDR-Paraden.
Mit historischem Videomaterial, dem Einspielen der Staatshymne und Projektionen der einstigen Staatsfahne wird die Vergangenheit erinnert: das war zu Zeiten, als der „Kalte Krieg“ auf dem Höhepunkt war und jederzeit ein atomarer Krieg hätte vom Zaun gebrochen werden können. Heute stehen wir wieder vor dieser Situation. Drohungen eines atomaren Angriffskriegs wie die Warnung vor Spionen beherrschen die Pressemeldungen. Reisch flog auf, aber viele andere nicht. Scheinwerferkegel kreisen über dem Publikum und heben einzelne Zuschauer hervor: Sind sie es, die heimlich Spionage betreiben? Das ist die Abschlusspointe dieser Inszenierung als Versuch, diese Geschichte über den lokalen Rahmen hinaus zu verallgemeinern.