Szene aus "Für alle Ewigkeit"

Über Erinnerungslücken

imaginary company: Für alle Ewigkeit

Theater:Nationaltheater Mannheim, Premiere:17.12.2022 (UA)

Es beginnt ganz stark: In einer kleinen gekachelten Wohnküche treffen sich drei Menschen, schleppen kleinere Sachen herein (wie ein Buch oder Aktenordner) und wieder heraus, immer begleitet von den stummen Blicken der anderen Beiden. Intensive Blicke sind das, die auf den Einen gerichtet werden, bis dann alle Drei immer stärker ein Foto anspielen, dass die als Papierfischchen zeigt. Nun beginnt das Spiel zu kippen, verwandelt sich in lauten Trash, man frisst Zettel, schüttet Unmassen von Papier aus, stürzt sich voll Lust in ein Zerstörungsritual, das nicht mehr aufhören will, bis der Vorhang fällt. Hinter diesem werden die „Königskostüme“ von Martha Marie Pinsker abgelegt und in Westen im Stile einer Show gewechselt.

Aber das Spiel hat noch einen Anfang, vor Beginn der Vorstellung von „Für alle Ewigkeit“: Da verteilen Katharina Breier, Sebastian Reich und Uwe Topmann überdimensionale verfremdete Alltagsrequisiten an das Publikum, die sie später wieder einsammeln. Denn was dieses Stück verhandelt, ist die Frage nach dem Erinnern. Genauer: welche Funktion ein Archiv bei dieser Erinnerungsarbeit hat. Auch das Sammeln von Erinnerungsstücken in einer solchen Institution ist selektiv. Denn, wo alles in den Archivkartonagen gesammelt wird, sozusagen der Deckel darauf gehalten wird, verschwindet das Material, bleibt es für die Gegenwärtigen ohne Bedeutung. Ohne Ordnungskategorien bleibt nichts auffindbar. Nach Recherchen der Gruppe werden nur 6 % des zur Verfügung stehenden Materials in Archiven aufbewahrt. Nach der Lecture-Performance in Sachen „Archiv“ wird das Erinnern, noch genauer: das selektive Erinnern des Wegsehens, des Verdrängens zum Gegenstand der szenischen Untersuchung.

Die Gruppe „imaginary company“ (das sind Ossian Hain, Anja Schneidereit, Arthur Romanowski und Anne Mahlow) beansprucht für sich, für ihre Produktionen ausführliche Recherchen zu machen. So auch in ihrer Auftragsarbeit für das Junge Nationaltheater Mannheim in Kooperation mit Marchivum Stadtarchiv Mannheim, gefördert von der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Begleitet von Jugendlichen und zwei Dramaturginnen des Hauses, sind sie fündig geworden. Zunächst picknicken in einem Film in diesem Marchivum die drei überdimensionalen Papierfischchen, die eher wie Käfer aussehen, bevor es wirklich losgehen kann. Dann wird ein Hubwagen voller Archivkartons hereingefahren. Fast zu lange brauchen Katharina Breier, Sebastian Reich und Uwe Topmann um mit diesem Material acht Säulen zu bauen, mit denen dann anschließend gespielt werden kann.

Zwischen Tiefgang und Trash

Im Zentrum der Performance steht die kollektive Verdrängung, dass es in einem ländlich und mittelständisch geprägten Mannheimer Vorort in einer Schule ein Konzentrationslager gegeben hat. Aber bei der ersten Recherchesuche eines Geschichtslehrers in den 60er-Jahren schwiegen die Menschen. Erst über eine „Erinnerungserschleichung“ – nämlich über Umwegen zu Berichten zu kommen – konnte die Verdrängungsblockade gebrochen werden, erinnert seit 1982 ein Schild an diesen Erinnerungsort. Allerdings wird nicht deutlich, obschon Uwe Topmann seinen Text mit Pathos unterlegt, welchen gegenwärtigen Stellenwert denn diese historische Erinnerungsarbeit hat. Das Engagement der Macher und Macherinnen, auch deren Wut, ist deutlich spürbar, aber es verfängt sich in den Fallen einer sprunghaft organisierten Handlung.

Was trotz geballter Dramaturgie dieser Produktion fehlt, ist ein Schwerpunkt. Es geht „imaginary company“ nicht darum, die Geschichte der Menschen aus Sandhofen linear zu erzählen, sondern assoziativ von einer Geschichte zur anderen zu springen und dabei selbst ungeheuren Spaß an trashigen Einfällen zu haben: Wie in ihrem läppischen Film über den Kneipenbesuch von den Papierfischchen mit Schürzen, die Dirndl abbilden und zu deutschen Schnitzelessern werden. Das ist purer Trash, wird zur lautstarken Gaudi. Das ist unterhaltsam, aber lässt auch die Relevanz des Inhalts verschwinden. Das ist tragisch: Das Kollektiv hat auf der einen Seiten einen politischen Anspruch, möchte aufklären, ohne zu agitieren, auf der anderen Seite aber ihren Anspruch im wahrsten Sinne des Wortes mit Papiermüll und Gebrüll zerspielt.

Dabei stellt das Kollektiv mit der Erfahrung nach der Erinnerungskultur eine wichtige Frage: wie man der jungen Generation ab 14 Jahren von dem erzählt, was zwischen 1933 und 1945 geschehen ist? Erreicht man Jugendliche eher durch Trash als durch Aufklärung, oder wird hier doch nur auf ein Publikum geschielt, dass mit den Meinungen des Kollektivs übereinstimmt? Also ist gar nicht Aufklärung gemeint, sondern Ermutigung unter Gleichgesinnten? Die Zeitreisen von der Fußball-WM 2014 bis hin zu der gerade vollzogenen Aktion gegen die Reichsbürger verweisen auf die Kontinuität des Alltagsfaschismus, auf die verhängnisvolle Verbindung von Nationalismus und Gewalt. Das sind wahrlich wichtige Themen, die auf unsere Verantwortung verweisen, hin- und nicht wegzuschauen. Und natürlich ist es schön, so einem lustvoll aufspielenden Ensemble zuzuschauen, aber warum so marktschreierisch?