Foto: Hamster unter sich: "Alarm im Streichelzoo" an der Münchner Schauburg © Fabian Frinzel
Text:Manfred Jahnke, am 7. März 2020
Der israelische Regisseur Ariel Doron ist allemal für eine Überraschung gut: In „Alarm im Streichelzoo“ für alle ab acht Jahren an der Schauburg München agieren drei Spielerinnen im Voll-Hamsterkostüm wie im schönen alten neuen Weihnachtsmärchen. Und das an dem Haus, das Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts dem Grips Theater Berlin Kunstlosigkeit vorwarf, weil es Tiere im Vollkostüm zeigte – die wahre Kunst gab es demnach nur in München an der Schauburg – Theater der Jugend, wo der Hundedarsteller nur im Mantel und einem kleinen Seilstückchen als Erinnerung an einen Schwanz auftrat. Der Zuschauer sollte aus diesen wenigen Insignien in seiner Phantasie die Tierfigur schaffen.
Wenn nun Ariel Doron drei Hamster im Vollkostüm und mit wunderbaren Masken auftreten lässt und alle drei dazu noch sehr individualisiert, ergibt das viel Sinn. Denn er will erst einmal Empathie mit den Figuren schaffen. Zunächst mit dem Tierpfleger Charlie des jungen Hardy Punzel, der schon im Foyer das Publikum begrüßt und alle Sympathie auf sich zieht, der dann, wenn das Publikum auf zwei Längsseiten Platz genommen hat, im Halbdunkel das Publikum raten lässt, was für Tiere da schlummern. Anni-Josephine Enders, verantwortlich für Bühne und Kostüme, stattet das Käfigrechteck mit zwei Toren aus, darin finden sich Objekte wie Dreiecke, Rundkörper oder quadratische Würfel, wie man sie von Kleinkinderspielen kennt, wo diese Formen in eine Kugel gesteckt werden müssen. Und dazu ganze Haufen von Papierstreifenwolle, in denen dann die drei Hamster wühlen. Zum Glück fehlt das obligate Hamsterrad. Damit ist der Spielraum geschaffen, den Ariel Doron benötigt. Er braucht diesen Raum, um eine Interaktion zwischen den Zuschauern und den „Puppen“, die keine Sprache außer Fiepsen haben, herbeizuführen.
Im Zentrum der Performance steht das Verhältnis von Mensch und Tier. Wie gehen wir und vor allem Kinder mit unseren Haustieren um? Sind sie nur ein Spielzeug? Wer übernimmt die Verantwortung für die Pflege der Tiere? Zu diesen Fragen hat das Ensemble in verschiedenen Münchener Schulen recherchiert. Diese Recherchen werden in jeder Aufführung fortgesetzt. Und deshalb dürfen nur die Kostüme und die Masken sichtbar sein, um alle zufällige Sympathie zu den Schauspielerinnen auszuschalten. Denn das Ziel von Ariel Doron ist, dass auch in jeder Vorstellung das junge Publikum Verantwortung für die drei Hamster übernimmt und in die Handlung direkt eingreift, sanft vom Tierpfleger dazu angehalten.
Denn Seltsames findet statt: Per Stimme aus dem Off von Frau Dr. Herzfeld wird nach dem morgendlichen Alltag erst Hank (Simone Oswald) abberufen, der zurückkehrt und dann tot zusammenbricht. Dann wird Bubbles (Helene Schmitt) aufgerufen und verschwindet. Als schließlich der alte Hamster Hermi (Clara Palau y Herrero) sich weigert und Charlie Handy und Elektroschocker abnimmt, ereignet sich die Teilhabe des Publikums, das sich erstens entscheiden muss, wen es unterstützen will, und dann, wie. Es greift ein. Es öffnet die Tore, es versucht Hermi zu verstecken. Es gelingt, Hermi aus dem Raum zu bringen. Dann tritt endlich die Stimme, Frau Dr. Herzfeld (Simone Oswald) auf. Sie entspricht nun gar nicht dem Feindbild, das Charlie, Hamster und die Zuschauer aufgebaut haben. Sie ist jemand, die, nachdem sie als Kind nacheinander Hamster hatte, die am ersten Tag starben, sich der Erforschung dieser Tiere verschrieben hat. Und nun das macht, was man bei Ariel Doron erwartet: nämlich zu erklären, dass man gar keinem Theaterabend beigewohnt habe, sondern einem Experiment, deshalb auch müsse nun das junge Publikum evaluiert werden. Die Fragen, die auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier zielen, sind durchaus manipulativ: Der Pfleger Charles kommt gut weg, obschon er seine anvertrauten Tiere nicht getränkt hat.
Eine Performance, die weitgehend überzeugt, auch, weil es allen drei Spielerinnen trotz Kostüm und Maske gelingt, drei sehr verschiedene Hamster zu animieren.