Kolumbus auf postkolonialer Kaperfahrt

Kurt Tucholsky, Walter Hasenclever, Jura Soyfer : Kolumbus oder Die „Entdeckung“ Amerikas

Theater:Theater Lübeck, Premiere:27.06.2025Regie:Cilli DrexelMusikalische Leitung: Willy Daum

Das Schauspiel Lübeck verpasst einer selten gespielten Komödie von Kurt Tucholsky und Walter Hasenclever ein neues Framing. Das ist teils amüsant, aber auch arg bemüht.

Der Innenhof am Lübecker Dom ist eine wunderbare Theaterspielstätte. Er wird begrenzt durch den südlichen Kreuzgang und das sich anschließende Museum für Natur und Umwelt, nach Westen hin ist die Bühne aufgeschlagen, das Ganze wird majestätisch überragt von den backsteingotischen Doppeltürmen. Dieser starke Genius Loci verlangt allerdings auch Stücke, die mit ihm korrespondieren. Eine satirische Seefahrer-Schmonzette im Schatten der Domtürme ist da schon etwas gewöhnungsbedürftig – Kirchenschiffe schwimmen halt nicht.

Eine „recht platte Kalauerei“

Nun kann man natürlich fragen, ob man Kurt Tucholskys und Walter Hasenclevers Komödie „Kolumbus oder Die „Entdeckung“ Amerikas“ so einfach als Seefahrer-Schmonzette abtun kann. Wird hier nicht der Heldenkult der heraufdämmernden Nazi-Barbarei satirisch verhandelt? Wird nicht der Raubtierkapitalismus der Konquistadoren angeprangert und das Endsieg-Pathos der Nazis verhohnepipelt? Ja – all das mögen die Autoren beabsichtigt haben. Aber gezündet hat es schon bei der Uraufführung 1932 in Leipzig offenbar nicht. Eine Kritik in der durchaus nicht nazihörigen Kölnischen Zeitung vermerkte damals, dass „der Beifall des glänzend besuchten Hauses nur schleppend“ gewesen sei und nicht ausgereicht habe, „um die Verfasser an die Rampe zu locken“. Das Stück war gleich nach der Uraufführung verboten worden, beide Autoren hatten sich unter dem Terror der Nazi-Verfolgung (vermutlich) das Leben genommen. Aber ihrer Komödie war auch nach dem Ende des 1000-jährigen Reiches kein Erfolg beschieden. Nach einer Produktion 1960 in Dortmund schrieb der Spiegel in einer ausführlichen Kritik von einer „recht platten Kalauerei“.

Bereits 1937 hatte der österreich-jüdische Autor und Kabarettist Jura Soyfer (er starb im KZ Buchenwald) versucht, dem Text besser auf die Bretter zu helfen, hatte kabarettistische Szenen und Liedtexte eingefügt, aber auch diese Singspiel-Fassung wurde von der Zensur des austrofaschistischen Dollfuß-Regimes verboten. Soyfers Fassung bildete jetzt in Lübeck die Grundlage für eine erneute Überarbeitung durch die inuk-dänische Dichterin und Performerin Kuluk Helms. Sie griff nochmal stark in die Texte ein, erweiterte das Personal um die beiden postkolonialistisch kalauernden Conférenciers DU (weiblich) und ICH (männlich) und ersetzte den ironischen Schluss mit der indianischen Friedensidylle durch einen unmittelbar ans Publikum gerichteten kolonialismuskritischen Diskurs.

Fast eine Uraufführung

Man kann also nicht sagen, dass es an Bemühungen um dieses Stück gefehlt hätte. Und man muss Kuluk Helms zugestehen, dass das Stück ohne ihr postkolonialistisches Framing heute schwerlich funktionieren könnte. Aber auch die Lübecker Premiere – angesichts der Eigenständigkeit der Fassung könnte man fast von einer Uraufführung sprechen, unter dem genauen Titel :„Kolumbus oder Die ,Entdeckung‘ Amerikas, Singspiel nach Kurt Tucholsky, Walter Hasenclever und Jura Soyfer“, – hinterließ den Eindruck, dass getretener Quark ganz schön breit werden kann. Aber nicht stark.

Kolumbus Theater Lübeck

Die Schaupielenden bei „Kolumbus oder Die „Entdeckung“ Amerikas“ am Theater Lübeck brillieren. Foto: Isabel Machados Rios

Das lag zum einen an der Textvorlage selbst, die sich (trotz beherzter Kürzungen in dieser Hinsicht) in zähen Kalauerparaden dahinzieht, und an den Liedtexten, die sich etwa mit Brechts Balladen und Moritaten nicht im Entferntesten messen können. Am erfrischendsten waren da noch die von Kuluk Helms eingefügten, pointiert und ironisch funkelnden Dialoge von ICH und DU. Es lag aber auch an dem schrill überzeichneten Spielstil nach Art von Slapstick-Stummfilmen, auf den die Regisseurin Cilli Drexel das Ensemble konsequent und abendfüllend gedrillt hatte. Die Figurenprofile waren gut getroffen, aber die zappelige Hektik hatte sich irgendwann totgelaufen. Und auch die wenig charakteristischen Songs und Musiknummern von Willy Daum hielten sich mit ihrem rhythmischen Einheits-Drive ganz in diesem Rahmen.

Die Schauspieler brillieren

An den Schauspielern, die meisten von ihnen in mehreren Rollen, lag es mit Sicherheit nicht. Die jonglierten ihre oft sperrigen Drechseltexte mit Verve über die Rampe und chargierten dabei, dass die Schiffsplanken krachten. Michael Fuchs als heldischer Kolumbus mit melancholischen Anwandlungen, Anna-Lena Hitzfeld als DU im amüsanten Dauerclinch mit Heiner Kock als ICH, Sven Simon mimte Ferdinand von Aragón als magenkrank abgemagerten Hypochonder von trumpischer Eitelkeit, Sonja Cariaso parodierte die schöne Isabella von Kastilien als exaltierte Schwärmerin von neurotisch unterminierter Vornehmheit, Luisa Böse legte eine krachende Charge als platt sprechende Eierfrau hin – man müsste eigentlich alle nennen, es gab keinen Ausfall.

Janine Werthmann hatte sie in charakteristische Kostüme gesteckt, die historisierende Details in modernen Stoffen ironisch-cool zitieren. Und Nicole Zielkes Bühne verbreitete mit wenigen maritimen Versatzstücken auf kahlem Schiffsplankenboden einen wunderbar improvisatorischen Wanderbühnen-Charme. Man sah wahrlich gelungene Einzelnummern und Einzelleistungen an diesem Abend. Aber ein gelungenes Ganzes wurde daraus nicht. Auch das schöne Dom-Ambiente konnte da nichts mehr ausrichten.