Brahms hat sein „Requiem“ auf Deutsch geschrieben, entkoppelt von der katholisch-lateinischen Requiem-Tradition steht der Mensch im Mittelpunkt, sein Leiden an der Gewissheit des Vergänglichen und das Versprechen des Trostes aus der Offenbarung (Johannis 14,13). Doch Urs Dietrich glaubt wohl nicht an diesen Trost, immer wieder suggerieren seine Bilder Vergeblichkeit. Im dritten Satz irren seine Tänzer im Video wie Gehetzte in leeren Gängen umher, während Martin Kronthaler „Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss.“ in kraftvollem Bariton anstimmt. „Wes soll ich mich trösten?“: Nur kurz huschen leibhaftige Tänzer mit Lichtern durch die Seitengänge des Doms. Man muss Trost auch sehen wollen.
Die Auf- und Abgänge der zwei Sänger löst Dietrich wunderbar, indem er sie unmerklich mit den Tänzern hereinströmen oder abrupt fliehen lässt, wenn diese zwischen den Sätzen immer mal wieder den Mittelgang durchschreiten oder -rennen. Martin Kronthaler überzeugt mit wohliger Tiefe und guter Artikulation, während der Sopran von Sara Hershkowitz zwar in süßlicher Dramatik schwelgt, leider jedoch ganze Silben verschluckt und damit einen Großteil des Textes schuldig bleibt. Markus Poschner führt die gewaltige Besetzung sensationell präzise und in angemessenen Tempi, wird nur teils zu üppig im Klangvolumen. Vor allem der Chor leistet Herausragendes mit klaren Einsätzen, ausgewogenem Klangbild und erfreulichem Konsonantenreichtum.
Im Zentrum des Requiems steht der 4. Satz „Wie lieblich sind deine Wohnungen Herr Zebaoth.“ Doch in den Filmsequenzen bei Urs Dietrich winkt in den himmlischen Gefilden keine Erlösung. Zwar sind seine Tänzer in weißen Tüll gehüllt, einige in sich versunken wie schlafende Kinder, doch je mehr Einblick man in die leeren, weißen Räume erhält, die sie durchstreifen, desto absurder wird es: Ein Tänzer mit Boxhandschuhen, einer mit Mundschutz, einer, der die Pupillen bis in die Augenhöhle eindreht. Irr sind sie, schützen wollen sie sich, doch wovor? Wo Brahms uns eine großes Werk des Trostes hinterlassen hat, flüstert uns Urs Dietrich zu: Täuscht euch nicht, alles Hoffen ist ja doch vergebens.