Ensembleszene aus Goyo Monteros "Don Juan"-Choreografie

Teufelsspiele

Goyo Montero: Don Juan

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:21.07.2012 (UA)

Don Juan hat viele Brüder. Ihm haftet etwas Diabolisch-Faustisches an. Die Auseinandersetzung mit dem „Frauenzerstörer“ findet sich quer durch alle Literatur- und (Musik-)Theatergenres. Auch Gluck, dem das Staatstheater Nürnberg 2012 zum vierten Mal internationale Festspiele ausrichtet, verkomponierte das Sujet. Die dreiaktige Tanztragödie (Choreografie: Gasparo Angiolini), 1761 in Wien uraufgeführt, schrieb als früh bedeutendes „ballet d’action“ Geschichte.

Doch Goyo Montero verweigert sich der originalen Partitur. Stattdessen macht er sich auf die Suche nach den spanischen Wurzeln des Stoffs: dem Mythos von Gabriel Téllez alias Tirso de Molina oder von José Zorrilla y Moral. Wie sehr ihn deren Texte bewegen, soll Schauspiel- und Tänzergast Rafael Rivero vermitteln. Nackt und verschlafen liegt er am Boden, als Julia Bartolome (Sprechrolle) ihn rüde wach stößt. Als von Goethe inspirierte Mephistopheles-Verkörperung namens M. fordert sie den quasi ebenbürtigen Spielgefährten zum (wortlastigen) Duell. Bei der Premiere im Schauspielhaus prallen zahlreiche deutsche und (übertitelte) spanische Zitate aufeinander, wobei beim Cross-Over von Tanz und Sprechtheater ersterer leider zu kurz kommt.

Auch Don Juan, der Archetyp des unangepassten Verführers, bleibt als Charakter eher blass. Trotz engagiertem Interpreteneinsatz entwickelt seine Figur eines selbstüberzeugten Snobs im Stückverlauf keinerlei Facette, die das Publikum wirklich mitzureißen vermag. Selbst die Glut seiner Leidenschaft scheint gezügelt. Seine Amouren leben Doppelgänger aus, die körperlich mit den Schatten (Marina Miguélez für Doña Inés/Ana Baigorri) bzw. Seelenschützerinnen der Begehrten (herausragend in roter Robe: Doña Ana/Simone Elliott) in Clinch geraten. Gleichzeitig bilden gerade diese (leider raren) Szenen memorable Kulminationspunkte an choreografischer Dynamik, wie man sie so sehr von Montero schätzt: visuell soghaft, emotionsgeladen und voller Assoziationspotenzial.

Ausgerechnet daran aber mangelt es dem großen Rest des 100-minütigen Sujet-Medleys, und Don Juans ultimativem Grenzerfahrungs-Flirt mit dem Tod fehlt die Wucht. Das konstruierte Geflecht aus elf inhaltscollagierten Bildern und einem musikalischen Stilmix aus Glucks finalem Furientanz (hier zu Beginn mit weißen Schleiertüchern als Requisit), Corelli, Boccherini über Mozarts Register-Arie des Leporello, Tom Waits‘ „Temptation“ bis hin zu Lera Auerbachs „Dream of the Stabat Mater“ und Cakes „I will survive“ greift erstaunlich wenig unter die Oberfläche. Ins Zentrum rückt das perfide Kräftemessen zwischen M. und Don Juan auf Kosten einer Novizin, das über die Zeit gewissen Leerlauf entwickelt und ohne dramatische Steigerung in Einzeleindrücke zerfällt.

So ästhetisch ansprechend diese dank der Ausstattung (Kostüme: Angelo Alberto und Montero) auch gelingen – der Abend, an dessen Ende M. den leichtfertigen Frauensammler wie ein rares Mannsobjekt in eine gläserne Höllenbox wegpackt, punktet mit dem Einsatz von Technik: Dreheffekte und das schnelle Auftürmen bzw. Versenken von Flächen, kombiniert mit schlichten Vorhangstoffen als Raumöffner und -verschließer, sorgen für starke Momente und choreografische Tiefenwirkung. Die dem neuesten Werk Monteros fehlende Dimension an Abgründigkeit können sie allerdings nicht ersetzen.