Szenenbild aus „die schlaue Füchsin" an der Staatsoper Stuttgart

Der Wald ist nicht nur ein Wald

Leoš Janáček: Die schlaue Füchsin

Theater:Staatsoper Stuttgart, Premiere:09.11.2025Regie:Stephan KimmigMusikalische Leitung:Ariane Matiakh

An der Staatsoper Stuttgart macht Regisseur Stephan Kimmig aus Janáčeks Füchslein eine emanzipierte Füchsin – und sperrt Tiere und Menschen in einen Übergangsraum zwischen Labor und Museum. Das Experiment gelingt.  

Eigentlich ist alles klar: Die Szenen von Leoš Janáčeks „Schlauer Füchsin“ spielen meist im Wald, wo sich Tiere wie Füchse, Dachse und Spechte bevorzugt aufhalten, oder auf dem Hof einer Försterei, wo Hähne, Schopfhennen und auch Dackel zu finden sind. Die Menschen sitzen dagegen im Wirtshaus, trinken Bier und spielen Karten. Doch so einfach ist es dann doch nicht. Denn schon bei Janáček verwischen die Grenzen zwischen Menschen und Tieren, nehmen diese menschliche Züge an und jene verwandeln sich. Deshalb sind manche Rollen doppelt besetzt, singt der Pfarrer auch den Dachs oder der Lehrer die Mücke.

Der Wald als Schwellenraum

In Stephan Kimmigs neuer Inszenierung von Leoš Janáčeks Oper in drei Akten am Staatstheater Stuttgart ist die Handlung in eine Art Schwellenraum verlegt, der Assoziationen zulässt. Katja Haß hat eine Art Tunnel gebaut, der in den Hintergrund der schiefen Bühne führt, der an einen Fuchsbau erinnert, der sich aber durch Requisiten wie Stühle und Tische schnell zum Wirts- oder Wohnhaus konkretisieren lässt, der aber auch an ein Raumschiff erinnert, das mit Menschen und Tieren durch Zeit und Raum fliegt. Einblicke in diese Bühne lässt ein schiefer Bilderrahmen zu, abgeschlossen ist sie nach hinten durch eine Glaswand, hinter der Menschen in Schutzanzügen zwischen weißen, toten Bäumen die Szene interessiert betrachten. Natur muss irgendwie neu gedacht oder überhaupt erinnert werden, weil sie uns verloren gegangen ist.

Bunt, schrill, queer

Während die Menschen eher schlicht gekleidet und mit ihren Alltagssachen wie Jeans, Pullover in der Gegenwart verortet sind, lässt es Anja Rabes bei den Tieren vor allem bunt, schillernd und sinnlich zugehen. Kostüme und Haut scheinen ineinander überzugehen, Tier und Mensch sind kaum mehr zu unterscheiden. Die farbliche Gestaltung verweist aber auch auf Verbindungen, auf Korrespondenzen zwischen den Rollen.

Dass der Förster am Ende der Oper die Hose des Fuchses trägt  – oder eine, die an diesen erinnert – zeigt die Verwandlung der Figur zum Ende der Oper hin, deutet den Prozess an, den sie durchlaufen hat. Die alten männlichen Rollenbilder sind abgelegt, die Begegnungen mit der Füchsin haben den Mann verändert, sowohl in seinem sozialen als auch im emotionalen Verhalten. Offener begegnet er seinen Mitmenschen, freier fühlt er sich in der Natur, empfindet und zeigt sich als Teil von dieser.

Paweł Konik singt den Förster anfangs baritonal-kernig, wird schließlich aber flexibler und geschmeidiger, zeigt also auch sängerisch die Verwandlung. Bei den anderen männlichen Figuren, dem Pfarrer und dem Lehrer, sind derartige Veränderungen nur angedeutet, in den Doppelrollen aber angelegt. Moritz Kallenberg singt diesen herrlich verklemmt, Andrew Bogard jenen zunehmend irritiert.

Emanzipation und Liebe

Im Zentrum von Kimmigs Inszenierung steht die Füchsin, die sich zunehmend zu selbst findet, sich emanzipiert, gesellschaftliche Zwänge ablegt und sich befreit. Dass sie dabei über Leichen geht, gehört dazu. Weil die Hennen dem Aufruf der aufgeklärten Füchsin nicht folgen, sie aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit einfach nicht ausbrechen wollen, werden sie kurzerhand skalpiert, natürlich um den Hahn zu treffen. Dem Wilderer Harašta stellt sie sich ohne Angst entgegen, büßt dafür zwar mit dem Tod, doch ist dieser ein letztes Zeichen der Selbstbestimmung und Unabhängigkeit und keine Niederlage.

Kimmig zeigt das Leben der Füchsin als Kampf gegen das Patriarchat, als Behauptung gegenüber männlicher Gewalt. Das aber gerade macht sie in den Augen des Fuchses interessant und liebenswert und für die Liebesszene genügt dann ein nicht sehr bequemes Sofa. Claudia Muschio singt die Füchsin stimmlich zunehmend ausholend, aber immer auch zerbrechlich und suchend, mit warmem und schönem Sopran und spielt sie leidenschaftlich bis in den Tod hinein. Ida Ränzlöv ist mit ihrem vollen und runden Mezzo-Fuchs das männliche Gegenstück.

Hip-Hop und Janáček

Ein bisschen albern-unbeholfen sind die von Jonathan Alexander Reimann choreographierten Szenen der Fuchsfamilie, aufdringlich-aufgesetzt ist der einleitende Rap „Sie mögen sich“ des Berliner Hip-Hop-Duos Shaban & Käptn Peng, doch ganz und gar überzeugend ist das Dirigat von Ariane Matiakh. Ihr Janáček ist alles andere als romantisierend oder impressionistisch hingetupft. Sie suggeriert nicht Einheit, wo keine ist, nivelliert nicht, wo Reibung ist. Sie lädt nicht ein zur Identifikation, sondern präsentiert immer: klar, körperlich und lebendig. Der Wald ist hörbar durch Kolorit, Signale und Geräusche, aber er bleibt immer Kunst, gemacht und geschichtet. Das Staatsorchester Stuttgart meistert die haarsträubenden technischen Schwierigkeiten bravourös. Und weil auch die von Bernhard Moncado einstudierten Chöre, also Chor und Kinderchor, präzise von allen Seiten singen, ist die musikalische Interpretation ebenso vielschichtig wie die szenische, nur dass letztere oft nicht richtig zu greifen ist.

Szene mit Pawl Konik (l.) und Moritz Kallenberg (r.)

Paweł Konik (Förster), Moritz Kallenberg (Lehrer/Mücke); Foto: Martin Siegmund