"HUMAN CR-EDIT", eine Choreografische Arbeit in Auseinandersetzung mit digitalen Medien und virtueller Welt

Streicheleinheiten einer Plastikhand

Felix Berner/Augusto Jaramillo Pineda: Human Cr-edit

Theater:Schwankhalle, Premiere:24.04.2014

Tanz den „FrAnK3nSt3iN“. Nicht einfach nur so, wie schon die krude Schreibweise des Arbeitstitels andeutet. Sondern auch als Traum eines Choreografen, aus dem Geist von Kleists Essay „Über das Marionettentheater“ den Motionskünstler der Zukunft zu erschaffen, der „mühelos alle Bewegungsinformationen aus den Tanzarchiven der Welt sampelt“ und bei Bedarf ausspuckt, wie im Programmheft steht. Der ideale Tänzer mache seinen Körper zu einer im Ausdruck berechenbaren Maschine, die absolute Grazie als etwas nicht Menschliches ermögliche, eben „human edit“ (wie ein Roboter programmiert) statt „human credit“, also das Erstreben eines möglichst natürlichen Ausdrucks. Deswegen ist der dreiteilige Abend des Bremer Steptext Dance Projektes (bereichert um Virtuosen der ehemaligen Urs-Dietrich-Compagnie) „HUMAN CR-EDIT“ überschrieben.

Und was ist zu sehen? Choreograf und Live-DJ Augusto Jaramilla Pineda blitzt mit Gewitterklängen Energie in drei lebelose Tanzkörper, die daraufhin erwachen, sich aus einem Bauteile-Haufen für Schaufensterpuppen herauswinden, mit zuckendem Strecken entfalten, durchaus individuelle Motionsticks ausprobieren und taumelnde, mal vogelig anmutende, mal froschähnliche Versuche unternehmen, die Bewegungen ihrer Extremitäten zu koordinieren. Um zueinander in Beziehung treten und das Ur-Tanz-Thema Körper im Raum erkunden zu können. Angefeuert von einem knarzend abstrakten Soundtrack, durch den immer neue Grooves schimmern – bis er von popmusikalischen Beats brachial überdröhnt wird. Die eckigen, hart abrupten Bewegungen werden zunehmend geschmeidiger und lassen spüren, dass sich in jeder von ihnen elektrische Energie entlädt. Ein physiologische Tatsache, mit der das Bild vom Menschen als Maschine präsent wird. Während dem Tanztrio Lust auf Zwischenmenschliches erwächst.

Mutig geht’s dem unvorhersehbar reagierenden Gegenüber entgegen, aus gesuchter wird gefundene körperliche Nähe: angrabschen, abtasten, anschmiegen, Händchenhalten. In zittriger Erregung erleben Herr und Frau Frankenstein sogar eine Art sexueller Interaktion. Auch erste Brabbellaute, Stöhn- und Lachäußerungen sind vernehmbar. Wenn dann mit Spielzeug aus dem Ersatzteillager der Schaufensterpuppen agiert wird, ist schnell allen klar: Mit Puppen kann man nicht tanzen, mit einem Torso nicht kuscheln, Streicheleinheiten von einer Plastikhand erzeugen kein prickelndes Erigieren der Gänsehaut. Dann schnell noch prächtigen Showtanz für ein imaginäres Charthit-Video toben, bis der Herr und Meister seinen Bewegungsgeschöpfen den Strom, also die Musik abdreht. Durchgeschwitzt sinken sie zu Boden, in Erwartung eines neuen Erweckungserlebnisses.

Noch deutlicher wird das Ideal vollkommener Beherrschung vollkommener Bewegungen in „Creatures of comfort“ des Oldenburger Choreografen Felix Berner. Seine Kreaturen finden nicht zum Pas de deux, sind nur fahrig redundant mit sich selbst beschäftigt, während sie auf Berners hektisch getaktete Überreizung mit Licht- und Musikimpulsen reagieren. Panisch gen Bühnenhimmel reckend, am Boden embryonal zusammenschnurrend. Natürlich sollen wir technisch hochgerüstete Junkies assoziieren, die am Nachrichtenstrom ihrer Online-Medien hängen. Schließlich werden digital animierten Pendants des Tanzduos in 3-D-Gitternetz-Gestalt projiziert. Diese können sich auch mal anfassen, umarmen. Und das präsentieren, was auf Tanzbühnen heutzutage verschwunden scheint: präzis synchrone Bewegungsfolgen. Anschließend erklärt der für die Videos verantwortliche Medienkünstler Steven Thanh Wong sein Software-Projekt zum Choreografieren, um körperliche wie musikalische Bewegungen am Computer zu komponieren. Frage: „Lassen sich das Arbeiten mit animierten Tanzavataren und die tanzkünstlerische Praxis verknüpfen?“ Antwort: In der kreativen Findungsphase und im Probenprozess sicherlich, Tanzkunst aber nur auf Bildschirmen/Leinwänden zu betrachten, ist genauso öde wie Abenteuer in Computerspielen und Realität im „Sims“-Design zu erleben. Daher: bitte mehr „human credit“ statt „edit“.