"Pfisters Mühle" in Armin Petras' Inszenierung am Schauspiel Stuttgart

Stinkreich

Nach Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:15.11.2014 (UA)Regie:Armin Petras

Der Beginn ist noch recht harmlos. Der Autor des „Sommerferienhefts“ und seine Gestalten erscheinen vor dem Graben im vorderen Bühnenbereich in historischen Kostümen der industriellen Boomzeit zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die Textvorlage der Inszenierung, Wilhelm Raabes Roman, ist in den 1880er Jahren entstanden, er dreht sich um „Pfisters Mühle“. Der „Autor“ der Aufzeichnungen kehrt darin mit seiner frisch Angetrauten aus Berlin auf die väterliche Mühle zurück, bevor das Gelände zu einer Fabrik wird. Diese Sommerfrische ist Anlass für den zum Lehrer aufgestiegenen Müllerssohn, in Erzählungen für seine Frau die Erinnerung an die Endzeit der Mühle aufleben zu lassen: Er beschreibt die Auswirkungen der Flussverschmutzung und die damit verbundenen üblen Gerüche, die das Geschäft der Gastwirtschaft ruinieren und dem Vater Pfister den Lebensmut rauben. Auch nach gewonnenem Prozess gegen die verursachende Zuckerfabrik Krickerode fühlt sich der alte Mann als Verlierer und wird bald sterben.

Peter Kurth spielt den alten Müller in Armin Petras‘ Stuttgarter Uraufführung denn auch als weitgehend stummen und apathischen Koloss, der von jüngeren, aufgekratzten Figuren umgeben ist. Ins Zentrum rückt Holger Stockhaus als faustischer Adam August Asche (einschließlich kurzem Text aus dem „Faust“). Dieser bringt dem jungen Pfister humanistische Bildung nahe, forscht selbst chemisch und liefert dem Anwalt des Müllers die wissenschaftlichen Daten für die Anzeige. Doch gründet er auch bald in Berlin ein eigenes chemisches Unternehmen und kommt damit zu Reichtum. Was in Raabes zuweilen etwas geschwätzig wirkendem, eher melancholisch ins Private flüchtenden Bilderreigen, diesem nicht unbedingt kämpferischen ersten deutschen „Umweltroman“ (der einige Jahre Tschechows Ende des „Kirschgartens“ vorausgeht) zart angedeutet ist, wird in der Stuttgarter Inszenierung bald sehr deutlich: Asche ist ein Dr. Jekyll und Mr. Hyde, der Pfister senior weniger bedauert als dass er ihm vorwirft, nicht selbst am Flusslauf industriell tätig geworden zu sein. Dass der aktuelle Dichter in der Premiere etwas blass blieb, lag somit vermutlich nicht nur am unfallbedingt kurzfristigen Einspringen des Regisseurs Armin Petras für Wolfgang Michalek. Auch Sebastian Wendelin, der Pfister junior in seinen eigenen Erinnerungen spielt, ist (ähnlich wie sein Lehrer Asche) in erster Linie ein der Heimat entfremdeter Berliner Bengel und kein Schöngeist, seine Frau Emmy ist bei Svenja Liesau meist ein freches Gör aus der Hauptstadt; auch Manolo Bertling als Anwalt, der (bei Petras) zum Architekten mutiert, verbindet Berliner Schnauze mit Dollarzeichen in den Augen. Michael Klammer schließlich glänzt in seiner Rolle des labilen und genialen Dichters Lippoldes vor allem mit dem Hadern eines Darstellers in der Rolle als Problemfigur. Maja Beckmann wirkt in der Rolle der unzeitgemäßen Hausfee Christine gleichermaßen faszinierend und unterfordert.

Überhaupt rollt die oft laute „Berliner“ Ästhetik mit improvisatorischen, die Figuren durchbrechenden Einlagen, viel Berlinerisch und komisch dagegen gesetztem Schwäbisch, zunehmend eigenwillig über die Vorlage hinweg. Raabes Text wirkt weniger als Widerpart für eine szenische Auseinandersetzung, sondern eher als Sprungbrett für ganz eigene Ideen. Nach über zwei Stunden Spieldauer folgt, nach einer längeren Pause, dann ein kurzes Nachspiel. Martin Eder hat nun in seinem ersten Bühnenbild eine Installation mit stummen Schauspielern gebaut – der erste Teil spielt hinter einem Graben vor einer großen grauen Betonwand mit einem riesigen, runden Loch, das durch einen riesigen Ventilator abgeschlossen wird. Nun erhebt sich eine Art Müllkugel aus einer Wasserfläche; darin stehen die Darsteller zuversichtlich in die Zukunft blickend, und der tote Müller steigt zum Ende aus dem Graben zum Gesang von „Ich bin tot, das ist gut.“

Dieses Abschlussbild wirkt ambivalent – als ein Idyll der Zerstörung. Passend dazu der zuvor immer wieder eingespielte Song: „I don’t care. I love it.“ Diese Menschen wollen die Zerstörung. Für einen sentimentalen Müller, einen Autor mit zarten Zwischentönen, dessen Hauptfigur ein Müllerssohn mit humanistischer Bildung ist, bleibt da kein Platz. Starkes und streitbares Theater.