Ein Erfolgsstück. 2011 wurde Luca Francesconis „Quartett“ an der Mailänder Scala uraufgeführt. Seitdem gab es etliche Inszenierungen zwischen Buenos Aires und Warschau, zwischen Charleston und Trient. Allerdings nicht da, wo die Hälfte aller aktiven Opernhäuser der Welt beheimatet ist, also in Deutschland. Gründe dafür sind leicht zu finden: Die meisten Häuser haben, wenn Sie überhaupt neue Musik spielen, lieber eine Uraufführung im Programm, der technische Aufwand für „Quartett“ ist immens und man benötigt zwei Ausnahme-Sänger. Umso mehr ist zu würdigen, dass die Dortmunder Oper jetzt eine Aufführung gewagt hat. Allein die Musik, die stets Klangflächen baut und in diese Widerhaken schlägt, schlanke Linien gräbt, grelle Effekte hineinschraubt, lohnt die Begegnung.
Ingo Kerkhof, der der Musiktheaterspielzeit 2018/19 mit seiner Wiesbadener „Jenufa“ und der Zweitaufführung von Peter Ruzickas „Benjamin“ seinen Stempel aufgedrückt hat wie kaum ein anderer Regisseur, beginnt damit, dass er explizit die Verarbeitungsebenen des Stoffes zeigt. „Quartett“ ist die Oper eines Italieners nach dem Theaterstück eines Deutschen (Heiner Müller) nach einem französischen Briefroman (Choderlos de Laclos). Und das alles in englischer Sprache und versetzt mit etlichen Zitaten von der Bibel über Schiller bis Brecht. Also ein Stoff, der tief in die europäische Geschichte und christlich geprägte Natur hineinführt. Davon haben die beiden Protagonisten, die Marquise Merteuil und der Vicomte Valmont eindeutig zu viel abbekommen. Sie sind dekadente Zyniker geworden, verführen, um zu verletzen, verletzen, um sich überhaupt zu spüren. Wobei sie sich, dass man das so deutlich erfährt, ist Kerkhofs akribischer, nie ungefährer Personenführung zu danken, in unterschiedlichen Stadien der Verkommenheit befinden.