Foto: Die Inszenierung wird dominiert durch raumnutzenden Tanz. © Sebastian Hoppe
Text:Tobias Prüwer, am 7. September 2024
In loser Orientierung an Goethes Klassiker „Faust“ verfolgt „Droge Faust“ am Staatsschauspiel Dresden die Süchte und Abgründe von Drogen. Mit dem Jugendprojekt schafft Regisseurin Hanna Müller mit einem herausragenden Chor eine Inszenierung, die Raum und Stimmen gelungen ausschöpft.
„Den Wert der Droge bestimmt der Chor. Wir sind der Chor, der Chor der Konsumenten!“ Der rauschhafte Abend beginnt mit einem Rave. Blaue Neonlichter blinken, Diskonebel wabert. Beine Stampfen, Arme schlängeln sich gen Bühnenhimmel, Hüften kreisen. Über mehrere Minuten entfacht dieses Vorspiel einen Sog, zieht hinein in die „Droge Faust“. Im lose um Goethes Drama gebauten Jugendtheaterprojekt verhandeln 13 Spielende das Thema Rausch in der Dresdner Bürgerbühne. Sie vermessen die Welt der Substanzen und verlieren ihre Individualität, wenn sie im Chor aufgehen.
Faust über Drogen
Aus Interviews mit diversen Experten – darunter Gesundheitsminister Karl Lauterbach – hat Janette Mickan den Text erstellt. Der hangelt sich am „Faust“ entlang, mal mehr, mal weniger zwingend. In Auerbachs Keller geht es natürlich um Alkohol. Mit dem Erdgeist wird die religiöse Kulturgeschichte der Drogen gestreift. Gretchen verliert ihre Unschuld an MDMA & Co. Verführbarkeit ist immer wieder das Thema, personifiziert auch in Mephisto. Regisseurin Hanna Müller entschied sich gegen eine klare Rollenaufteilung. Und das war klug.
Das Ensemble mit Tiermasken. Foto: Sebastian Hoppe
Denn das Kollektiv gibt Faust und alle anderen. Immer wieder löst sich ein Sprecher oder eine Sprecherin heraus und reiht sich dann wieder ein. Der große Zeigefinger wird nicht geschwenkt, aber Drogenmissbrauch auch nicht verharmlost. Von Dealertypen ist zu hören, einer Hippiekommune in Mittelamerika, Notärzten, Eltern, die ihr Kind an Substanzen verloren haben, aber auch vom Killen der Langeweile und Spaß im Kontrollverlust. Welcher Experte da jeweils spricht, ist nicht immer deutlich und auch nicht wichtig. Das ist manchmal zu viel Text, aber die Spielenden fangen abfallende Spannung stets auf.
Intensive Raumnutzung
Die weite Bühne dient ihnen als Spiel- und Tanzfläche. Der Bühnenhintergrund mit violett-blau aquarellierter Landschaft fächert sich im Laufe der Inszenierung Stück für Stück auf. Es erweitern sich die Pforten der Wahrnehmung, könnte man hineindeuten. Den Raum nutzt das Kollektiv gut aus. Irgendetwas oder irgendwer ist immer in Bewegung. Alle sprechen gut und genau, besonders die chorischen Szenen sind sehr ansehnlich. Denn hier stimmt stets das Timing, was für nichtprofessionelles Theater schon an sich eine Leistung ist. Zumal die Darstellenden bis auf ein paar Masken keine Requisiten zur Verfügung haben, an denen sie sich festhalten oder mit ihnen ablenken können.
Die Choreografien (Jaqueline Dunnley-Wendt) sind auf die verschiedenen Körper abgestimmt. Leise Aspekte eines Bewegungschores sind zu erahnen. Es ist überhaupt die Körpersprache, die hier vor der verbalen Ebene glänzt. Wenn sich beispielsweise alle anfangen zu kratzen oder animalische Züge annehmen, ist das bessere Warnung vor Drogeneinfluss als ein Verbot. Die Gruppentanzszenen überzeugen am meisten. Zur Walpurgisnacht etwa sind ihre Kostüme körperbetont-erotisch verengt und ausgedünnt: Sie werfen sich zu Technoklängen in den Tanzrausch. Die Ekstase – inklusive Hebefiguren – steigert sich in die wildestes Bewegungen, bevor sie am Boden endet. Plötzlich liegen alle da, sind nur noch zuckende Arme und Beine zu sehen. Das ist das beeindruckendste lebendige Bild des Abends, und zugleich eine Ermahnung an den Kater. Eine mutige Produktion stemmt hier ein selbstbewusstes Ensemble, das beim Schlussapplaus selbst etwas überrascht ist von seiner Spielkunst. Den Wert dieser Inszenierung bestimmt der Chor.