Das Familienoberhaupt (Jens Harzer) in "Deutschstunde" am Thalia Theater

Sprechstunde

Siegfried Lenz: Deutschstunde

Theater:Thalia Theater, Premiere:22.11.2014Regie:Johan Simons

Es schien eine besondere Fügung des Schicksals zu sein, dass kurz nach dem Tod des Schriftstellers Siegfried Lenz sein großer Roman „Deutschstunde“ am Thalia Theater in Hamburg Premiere hatte. Der gerade mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnete niederländische Regisseur Johan Simons, so konnte man erwarten, dürfte mit den kantigen, wenig geschwätzigen Gestalten wie dem pflichtliebenden Dorfpolizisten Jens Ole Jepsen und seinem selbstbewussten, unbeugsamen Gegenüber, dem Maler Max Ludwig Nansen, ein äußerlich zurückhaltendes, aber umso intensiveres Spielfeuer entfachen. Das Ergebnis ist allerdings eine mühsame zweistündige Familiengeschichte, die alle Zweifel an Romanadaptionen zu bestätigen scheint.

In Susanne Meisters Bühnenfassung wird der Text des Polizistensohnes und Malerfreundes Siggi Jepsen auf alle Figuren verteilt, so dass auch der vernagelte Vater zum dialogischen Erinnerungshelfer wird. Jens Harzer ist dabei dazu gezwungen, sich selbst erklärend, den tumben Toren mit einem redseligen Erzähler zu verbinden. Zusätzlich scheint er dem leidenschaftlichen Pflichterfüller eine Tiefe geben zu wollen, die dieser nicht haben kann; erst am Ende, wenn der nach dem Krieg wieder eingesetzte Dorfpolizist immer noch das Malverbot für Nansen weiterführen will und immer noch Jagd auf Bilder macht, passen Harzers Spiel und die immer schrägere Gestalt besser zueinander.

Schräg ist auch die Bühne von Bettina Pommer; wie ein gekipptes Zimmer liegen zwei seitliche Wände und eine Rückwand nach vorne offen, so dass die eingezwängten Gestalten ständig nach unten in die Fügung der beiden grauen Holzwände zu rutschen drohen. In dieser Rinne spielt sich das ganz auf die Familie Jepsen konzentrierte Drama dann auch weitgehend in grauen oder braunen Kostümen (Henriette Müller) ab. Gabriela Maria Schmiede müht sich, die verschlossene Mutter mit der Geschichtenerzählerin zu verbinden, Sebastian Zimmer als verstoßener Sohn Klaas muss gar von seiner Verletzung künden und sie zugleich irgendwie darstellen. Franziska Hartmann gelingen als Tochter Hilke natürlichere Töne, die aber kaum zum übrigen Spiel passen. Sebastian Rudolph ist gezwungen, den Maler ebenfalls mit erzählerischer Einfühlung zu versehen; erst am Ende darf er ausführlicher über die Mühen des künstlerischen Schaffens reflektieren und damit der Figur eine eigenwilligere Gestalt verleihen. Zuvor ist er aber von seiner Rolle des Berichterstatters in einem widrigen Spielraum absorbiert. Auch Jörg Pohl als Sohn Siggi, der die ganze Geschichte aufschreibt und von den Mitsprechern textlich entlastet wird, findet kaum Raum und Worte, eine Figur zu entwickeln. Die Familie geschwätziger Nordlichter hat in dieser „Deutschstunde“ keine Chance, die Brisanz des nacherzählten Textes mit Leben zu füllen.