Auf der Tartanbahn

Sport(halle) frei!

Kajetan Skurski: FestSpiel „AKTIVIST“

Theater:Neue Bühne Senftenberg, Premiere:26.09.2025 (UA)

Die Neue Bühne Senftenberg würdigt zur Spielzeiteröffnung mit FestSpiel „Aktivist“ einen ganz besonderen Ort, der für die Menschen in der Region große Bedeutung hat. Denn Theater ist Sport und Sport ist Theater.

Im letzten Jahr galt das FestSpielWerkstatt Theater“ dem sanierten Betriebsgelände. In unterschiedlichen Touren ging es durch die noch frischen Räume der Gewerke.

Dieses Jahr bespielt die Neue Bühne Senftenberg die Niederlausitzhalle, die den vielsagenden Namen „Sporthalle Aktivist“ trägt, einst als größte freitragende Halle Europas galt – und ab 2027 teilweise abgerissen, zumindest jedoch komplett umgebaut werden soll, zum zwiegespaltenen Freud- und Leidwesen der Senftenbergerinnen und Senftenberger. Ein Ort mit zukünftigem Konfliktpotenzial also, aber auch mit aufgeladener Vergangenheit.

Erbaut aus Teilen eines alten Kohleschuppens und finanziert vom Braunkohlekombinat wurde die Sporthalle „Aktivist“ 1959 eröffnet und fungierte besonders in den 1970ern als die Sportstätte der DDR. 3.000 Zuschauer:innen fanden hier Platz. Rekorde wurden gebrochen, große Wettkämpfe ausgetragen. Nicht in Berlin, sondern in der Lausitz, in einer Senftenberger Halle, die mit ihrer roten Tartanbahn den damaligen Goldstandard gesetzt hatte.

Fragment einer Region

Im Zentrum von FestSpiel „Aktivist“ steht jene Halle. Um sie herum oder vielmehr in ihr sitzen wir auf der Tribüne und Regisseur und Autor Kajetan Skurski erzählt die Geschichten von acht Sportler:innen, deren Leben mit der Halle verwoben sind, acht individuelle Geschichten zwischen Triumph und Niederlage, in denen sich das historische Gedächtnis einer ganzen Region spiegelt. Die Figuren weisen fiktional überhöhte sowie dokumentarisch-biografische Elemente auf. Entstanden sind sie aus seitenweise Archivmaterialien und 30 Zeitzeugen-Interviews.

Szenenfoto FestSpiel „Aktivist“. Foto: Steffen Rasche

Die Lebensgeschichten von Hans Hartmann (Mirko Warnatz), Jürgen Eigenheimer (Daniel Borgwardt), Flo Bakirova (Dana Koganova), Christian Hase (Richard Fuchs), Helga Hausdörfer (Catharina Struwe), André Ritter (Jörg Seyer), Jessy Schmidt-Marx (Marianne Helene Jordan) und Kurt Weißensee (Janus Torp) werden fragmentarisch erzählt. Fragmentarisch, weil das Publikum zu Beginn mittels Panini-Stickern eine Figur „zieht“, der wir im dritten Akt in den Speiseraum, das Vereinsheim „Ostkurve“ oder die Frauenumkleide folgen und mehr über die individuelle Lebensgeschichte erfahren, welche Bedeutung der Sport und die Sporthalle für sie hat(te).

So führt mich mein Sticker in eine Herrenumkleide und tiefer in die Psyche von Kurt Weißensee, einem gebrochenen Leistungssportler, der sich ins Influencertum flüchtet, um seine Selbstzweifel und Traumata zu übertünchen. Janus Torp spielt das emotionsstark und nuanciert zwischen fiebrigem Overacting und zerbrechlichen Innensichten.

Magie der Tartanbahn

Steven Koop reduziert die Raumgestaltung auf wenige Sportrequisiten und lässt die Halle selbst im Fokus stehen. Mit reichlich Nebel und stimmungsvollem Lichteinsatz transformiert sie sich in etwas magisch Aufgeladenes. Das Produktionsteam kreiert wirkungsvolle Bilder und atmosphärisch dichte Momente. Die haben zwar keine Metaebene, aber sei es drum.

Dieser Abend ist vor allem eine Hommage an ein Gebäude, das eng mit Stadt und Menschen verbunden ist. Theater zeigt sich hier in seiner soziokulturellen Aufgabe, ist Gedächtnis der Stadt und Region. Es bedient Gefühle und stiftet ein gemeinsames Erinnern – und Abschiednehmen. Eher erzählend als zeigend, rutschen so manche Passagen ins Aktionistische mit Herumgerolle auf der deutlich sichtbar in die Jahre gekommenen Tartanbahn.

Die Neue Bühne Senftenberg verdeutlicht mit diesem FestSpiel, was es heißen kann, an einem lokalgeschichtlich aufgeladenen Ort die hiesige Bevölkerung abzuholen. Das Produktionsteam findet die Balance, nicht zu verklären, nicht zu idealisieren, sondern auch die Schattenseiten des (DDR-)Sports zu thematisieren. Es wurde geschwitzt, gelitten, gekämpft, verloren, gesiegt, konkurriert, gemessen und gedrillt. Besonders für Letzteres steht die Figur von Catharina Struwe. Ihre Helga Hausdörfer scheuchte über Jahrzehnte Schülerinnen und Schüler über die Tartanbahn. Eine Trainerinnen-Karriere, die mit Drill und „Vitamin-Pillen“ verbunden ist.

Für Außenstehende ist die Tragweite nur bedingt spürbar; der Abend richtet sich vor allem an lokal Verwurzelte und bietet ihnen Identifikation. Das Publikum tritt mit dem Erzählten in Resonanz nicken, murren, kommentieren, brummen, feuchte Augen es entsteht ein Gefühl des Abgeholt-Seins. Stark sind die chorischrhythmischen Szenen, in denen die Spielenden perfekt aufeinander abgestimmt die Halle zum akustischen Resonanzraum machen.

„FestSpiel Aktivist“ in der Niederlausitzhalle.

FestSpiel „Aktivist“ in der Niederlausitzhalle. Foto: Steffen Rasche

Zwischen Fanfare und Steigerlied

Im fünften Akt entern zwei Spielmannszüge die Halle, die, so scheint es, sowohl gemeinsam als auch gegeneinander spielen. Becken, Trommeln, Trompeten hallen durch den Raum, während im nächsten Moment das Steigerlied sanft durch die Halle klingt. Eine junge Leichtathletin, die ihre ersten Erfolge als Weitspringerin in dieser Halle feierte, sprintet im Scherenlauf und Kniehebelauf die Bahn hinunter. Auf der Außenbahn umrundet sie die Laufgruppe des TSV Senftenberg.

Das ist Theater als Spektakel. Im Grad der Involvierung der Stadtbewohner:innen nimmt es Anleihen bei den Oberammergauer Passionsspielen, wobei es hier logischerweise eher eine Passion Akti als eine Passion Christi ist. Da bricht schon mal die Vierte Wand, weil Bekannte auf der Tribüne sitzen, denen leicht verstohlen bis stolz-euphorisch gewinkt wird.

Handwerklich ist der Hut zu ziehen vor der koordinatorischen Leistung der Gewerke, allen voran die Inspizienten Ingo Zeising und Vladislav Weis, die es ohne Längen und im flüssigen Ineinandergreifen aller Involvierten zusammenhalten.

Am Ende vertreibt ein Mini-Bagger Pegasus, den Inbegriff der Poesie – in Gestalt einer riesigen Stabpuppe – aus der Halle. Die theatrale Magie entweicht, der Bautrupp rollt an. Doch die abschließende Botschaft dieses Abends ist eine andere: You never walk alone. Wie auch immer die Geschichte dieser Halle weitergeht, die Erinnerungen wurden an diesem Abend für das Publikum noch einmal emotional greifbar. Eine Hommage an die „Akti-Halle“, eine berührende Geste der Neuen Bühne Senftenberg an die hier lebenden Menschen.