Jonas Hien und Heide Kalisch im Magdeburger "Faust II".

Sie wissen, was sie tun

Johann Wolfgang von Goethe: Faust II

Theater:Schauspiel Magdeburg, Premiere:30.09.2011Regie:Martin Nimz

Ein Theater, das Goethes „Faust I“ auf den Spielplan setzt, hat den Selbstläufer im Sinn und bislang jedenfalls noch ein sicheres Kontingent bildungsbeflissener Zuschauer im Visier. Und zwar die, die bei diesem Stück vergleichen können, aber auch den potenziellen Theatergänger-Nachwuchs, der sich im Deutschkurs damit abplagt. Wer aber, wie Martin Nimz, Faust I und II stemmt, dem geht es um mehr. Und zwar um Welterklärung und Theaterselbstbehauptung. Goethe hat ja genau die Fragwürdigkeiten des bürgerlichen Zeitalters und Menschbildes verhandelt, die eine ganze Epoche später immer noch offen sind. Er hat die genetisch globalen Ambitionen des modernen Menschen nicht nur genial vorausgeahnt, sondern sogar den Preis benannt. Von daher ist der ganze Faust (natürlich nicht wörtlich, sondern als klug ausgewählter Pfad durchs Versgebirge) per se ein Stück für Heute. Wenn Mephisto jetzt am Kaiserhof einer ratlosen politischen Führungsklasse, die Erfindung des Papiergeldes, wie die Ausstellung eines faulen Wechsel auf die Zukunft (oder als teuflischen Rettungsschirm auf Pump), offeriert, dann sieht der Kaiser dort bei Iris Albrecht der amtierenden Kanzlerin verteufelt ähnlich. Und wenn sich Faust im Krieg mit dem Gegenkaiser seinen Grundbucheintrag für den Küstenstreifen „verdient“, dann wirkt auch das eingeblendete Bild aus dem Weißen Haus, das den Schreck der Führungsgruppe der Supermacht beim Bin-Laden-Töten zeigt, ziemlich triftig.

Aber Nimz verblüffend gelungene Vergegenwärtigung des Faust-Stoffes ist nicht in erster Linie solchen Bildern zu danken, sondern der lustvoll neugierigen Haltung zum Text. Was insbesondere dem fast schon geschäfts-partnerschaftlichen Duo Faust (Jonas Hien) und Mephisto, der bei Axel Strothmann ein fast schon charmanter Kumpan der finsteren Dialektik (Axel Strothmann) ist, mit betont spielerischer Geste gelingt. Sie kommen daher wie aus der Gegenwart, vertrauen dem Text finden einen Sprachzugang, der die historische Distanz erstaunlich schrumpfen lässt. Nimz geht es offenkundig um Goethes Text und seine subversive Reichweite bis ins Heute. Und bei ihm wissen sie alle, was sie sagen! In Bernd Schneider nüchterner Bühnenkasten muss da nur sparsam ergänzt werden. Ein Sofa für die Krisensitzung am Kaiserhof, hinten ein paar bewegliche Schiebeelemente über die dann auch die wissenschaftliche Homunculus-Formel flimmert, eine absenkbare Deckenplatte, die sowohl zum strategischen Sandkasten fürs Kriegsführen im Großen, wie auch als Steilwand für die arkadische Illusion vom Glück mit Helena taugt, an der dann aber doch nur Euphorion zu Tode stürzt. Und die beiden Wut-Greise Philemon und Baucis ketten sich am Alugerüst an, als ginge es um Bahnhofsbau oder Castor Transport.

Nimz bleibt mit seiner knapp dreistündigen Reise durch die Große Welt, bei der spannend heutigen Ver-Dichtung, die er schon im Faust I begonnen hat. Und wenn er auf so was wie einen exzessiven Aktionpainting Ausbruch Fausts mit Helena einlässt, dann nimmt er dabei zugleich diverse Theatermoden mit auf die Schippe. Das ist beglückend heutig und kommt auch ohne aufgeschlagenes Lexikon an. In den sich bedrohlich auf die selbstständige Existenz des Schauspiels zusteuernden Finanzierungsdebatten in Magdeburg, wird dieser Faust zugleich zu einer überzeugender Selbstbehauptung des Theaters.