Foto: Florian Boesch (Saul), James Ley (Jonathan) © Semperoper Dresden/ Mark Schulze Steinen
Text:Roland H. Dippel, am 2. Juni 2025
Mit ungewöhnlichen Orchesterinstrumenten der Entstehungszeit und herzenbrechenden Countertenor als David inszeniert Claus Guth Händels „Saul“ an der Semperoper Dresden. Die Bühnenhandlung und Musikdramatik scheinen jedoch Schwierigkeiten im Zusammenwirken zu haben.
Alles Schwarz contra Weiß und trotzdem austauschbar! Nach dem Machtwechsel in der jungen und bereits marodierenden Monarchie Israels krakelt König David seinen Namen auf die schmuddeligen Wandkacheln wie dereinst sein Vorgänger Saul. Letzterer wiederum will Gewissheit und befragt die Seherin von Endor wie Macbeth die Hexen in Schottland. Eine atmosphärische Nähe zu Shakespeares Königsdramen und zu den an Gräueln nicht sparenden Elisabethanischen Tragödien kann man dem von Charles Jennens für Händel verfassten Oratorientext also nicht absprechen.
Händel war gerade von einem Schlaganfall genesen und setzte seine Reihe englischsprachiger Oratorien mit der Uraufführung des fast mit psychologischer Plastizität modellierten „Saul“ 1739 im Londoner King’s Theatre am Haymarket fort. Vor dreißig Jahren hatte die Sächsische Staatsoper Händels Oratorium „Belshazzar“, eine der besten Inszenierungen Harry Kupfers, von der Hamburger Staatsoper übernommen. Diesmal also „Saul“ vom MusikTheater an der Wien – die Premierenserie lief dort 2018. In „Belshazzar“ sang man noch auf deutsch, jetzt in der englischen Originalsprache.
Ungewöhnliche Orchesterbesetzung
Die Streicher der Sächsischen Staatskapelle klingen wie vom Himmel. Die Farben mit Orgel, Harfe und Glockenschellen als ungewöhnliche Orchesterinstrumente der Entstehungszeit wirken apart. Das insgesamt hervorragende Ensemble agiert auch in den Rezitativen sorgfältig. Aber der Dirigent Leo Hussain hat hörbar wenig Interesse an einer synergetischen Konzentration von Bühnenhandlung und Musikdramatik. Schönklang und der Untergang der Familie Sauls mitsamt der Inthronisation des hier Saul wie in den alttestamentarischen Schriften mit Harfe und Romanzen beschwichtigenden David, vor allem aber die existenziellen Nöte der beiden Alphatiere in Talfahrt und Aufschwung prallen am weich gebürsteten Kunstsinn Hussains ab. Dabei zeigte George Petrou vor genau zwei Wochen an „Tamerlano“ in Göttingen, wie man in Händels schroffen Stoffen mit Orchester formvollendet zart und hart sein kann.
Guth entwickelt in den beiden ersten Akten ein prickelnd toxisches Familienkammerspiel. Mit dem Erscheinen des schönen Kämpfers Davids, der gleich das abgeschlagene Haupt des Riesen Goliath als Tafeldekoration auf’s weiße Tischtuch setzt, bricht lange hinter der Etikette Verdrängtes hervor. Liebesentzug, Zärtlichkeitsdefizite, Rivalitäten und schlichtweg die Reibungshitze aus dem kalten Klima der perfekten Umgangsformen. Händel setzt mit einer für ihn ungewöhnlichen Stimmdramaturgie tolle Möglichkeiten: Ein Bassbariton in der Protagonistenrolle des Saul, dem Florian Boesch eine ausdrucksstarke stimmliche Wärme verleiht, und daneben als David wie zur Uraufführung ein Countertenor und damit damals noch weitaus exotischeres Stimmkaliber als Heute.

Jake Arditti (David), Florian Boesch (Saul). Foto: Semperoper Dresden / David Baltzer
Als David macht Jake Arditti klar, dass der Neuankömmling auch anderes kann als in die Saiten greifen und Romanzen säuseln. Mit Trägershirt, kräftigem Bizeps und charismatischen Tönen bricht Ardittis David die Herzen der rivalisierenden Schwestern Merab (Jasmin Delfs) und Michal (Mary Bevan) und überdies das des im Gegensatz zu Marc-Antoine Charpentiers 40 Jahre älterem Drame-lyrique „David et Jonathas“ nicht schwulen Bruders Jonathan (James Ley).
Wenn man den Hohenpriester (Tansel Akzeybek) und den von der adretten Servierhostess zur Seherin von Endor mutierenden Jake Ingbar dazunimmt, singen die in einem Händel-Vokalwerk ausnahmsweise mehrzahligen Männer sogar noch etwas besser als die Frauen mit den zugegebenermaßen konfliktintensiveren Partien. Der Bruch vom familiären Edelkammerspiel mit schwarzhumorigen Einsprengseln zum nacheinander erfolgenden Wegsterben der Saul-Familie und zum Regierungsantritt Davids ist drastisch. Am Ende, wenn der Chor mit flehenden Gesten auf die Knie geht wie vor der ehernen Schlange oder im erst später erbauten Tempel zu Jerusalem, entwickelt der kräftig und laut umjubelte Premierenabend einige Längen. Der Beginn war einfach zu stark.
„Saul“ ist „Teorema“
Denn für Claus Guth ist „Saul“ Händels „Teorema“. Wie in Pasolinis epochaler Filmvision über die nach einem Sinn im Leben lechzende Bourgeoisie krallt sich die mutterlose Familie Saul an den wie ein sanfter James Dean ins Geschehen segelnden David. Bis zur Serviererin sitzen in Guths detaillierter und minimal kühler Personenregie die Analogien zu Pasolini – vom perfekten Griff der Schwestern an die Weinglasstiele bis zu den mit komödiantischer Pikanterie unterspielten Gesten der Zuneigung und des Abscheus.
Gegen Schluss ähneln sich der schwarze Saul und der weiße David immer deutlicher mit ihren würgenden Ängsten vor Machtverlust, Feinden und der eigenen Unfähigkeit. Schwarz und Weiß sind hier physisch-psychisch-politische Farbsymbole für den verhängnisvollen Kreislauf der Geschichte. Neben den „Teorema“-Parallelen ist das stärkste an dem Abend die Erkenntnis, dass sich nichts ändert – außer für die Frauen, wenn sie als gute Partie im Aufstiegspoker ihre Aufgabe erfüllt haben und mit gnadenloser Drastik an den Rand gestellt werden. Auch dazu setzt Hussain unverändert schöne Klangakzente, als wäre „Saul“ ein Huldigungsspiel und nicht eines von Händels dramatischsten Werken. Laute Ovationen aus dem nicht ausverkauften Zuschauerraum.