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Schräge Wunschphantasien

Stephan Winkler: Der Universums-Stulp

Theater:Wuppertaler Bühnen, Premiere:07.02.2014 (UA)Regie:Thierry BruehlMusikalische Leitung:Peter Rundel

Mit dieser in jeder Beziehung ungewöhnlichen Produktion begeht die Kunststiftung NRW ihr 25-jähriges Jubiläum als Förderinstitution. „Der Universums-Stulp“ basiert auf einem Roman des von Loriot entdeckten Wuppertaler Autors und Zeichners Eugen Egner, der zusammen mit dem Komponisten Stephan Winkler und dem Regisseur Thierry Bruehl auch das Libretto dieser „musikalischen Bildgeschichte in drei Heften“ verfasst hat.

Traugott Neimann, ein gehypter Nachwuchsautor, der ausschließlich unter süchtig machenden Stimulanzien schreiben kann, fällt aus dem dritten Stock. Eine Stimme bietet ihm an, unverletzt zu bleiben, wenn er hinfort völlig auf Rauschmittel aller Art verzichtet. Neimann nimmt an und gerät umgehend in eine Identitätskrise („Ich muss in mich gehen, aber was werd‘ ich da finden?“), in deren Mittelpunkt immer wieder ein ‚Ganghofer‘ steht, eine Maschine zur zeitweisen Materialisierung von Wunschwesen. Als sich Neimann verzweifelt an Thalia Fresluder („Ich bin keine Wissenschaftlerin. Ich löse nur Probleme.“) und ihr Universalhilfe-Institut wendet, wird es vollends absurd. Auf dem Höhepunkt lässt er sich von einer Ente in einen Brotaufstrich verwandeln, um dem Papst in China seine Geliebte, einen film- und brotaufstrichsüchtigen Ex-Kinderstar, abspenstig zu machen.

„Welt am Draht“ trifft „Fahrenheit 451“. Dada trifft Karel Capek. Dieser „Universums-Stulp“ ist ein psychedelisch kultgesättigter Science-Fiction-Drogenrausch ohne Drogen mit dem in einen lyrischen Sanguiniker und ein cholerisches Weichei aufgespaltenen Neimann als Doppel-Bariton. Die Musik von Stephan Winkler hat echtes Rausch-Potenzial. Sie beschreibt eine durchgängige, unruhig gezackte Fieberkurve. Versetzt mit aus unterschiedlichen Quellen ans Ohr dringenden Zuspielungen sorgt sie für ungewöhnliche Surround-Effekte im Zuschauerraum. Dazu wird der Klangraum zwischen Sprechen und Singen, zwischen Deklamation und Rezitation nahezu besessen erforscht. Da singt Uta Christina Georg mit viel Charme, bestrahltem Timing und einem hinreißend schönen Mezzosopran die Thalia Fresluder ständig im Ensemble mit sich selbst. Da bietet der Tenor Christian Sturm nur die Vokale seiner „Papst-Arie“ dar – die Konsonanten kommen vom Band. Winklers Musik stützt die theatralischen Vorgänge, setzt ihnen aber auch Widerstände entgegen, unterminiert sie. Und wird  in jeder Beziehung hinreißend gespielt vom ensembleMusikfabrik.

Dieses ist gleichzeitig der hintere Teil des Bühnenbildes von Bart Wigger, das aus zwei weißen Würfeln besteht. Sie dienen als Leinwand und geben abwechselnd den Blick frei auf fein verrutschte realistische Settings, angehübscht von den Retro-Science-Fiction-Kostümen von Wiebke Schlüter. Thierry Bruehl ist ein ausgezeichneter Handwerker, beherrscht Personenführung und Choreographie besser als viele seiner Kollegen. Dennoch kommt der Beginn arg brav daher – und genau deswegen unverständlich. Da wird vieles, etwa der Ganghofer, groß gedacht, aber zu klein gezeigt. Da fehlt grelle Körperlichkeit mit „Zosch!“ und „Ka-wumm!“, vor allem aber das verrückte Spektakel, die „Kapuzenreiter des Innenministeriums“ oder der „in einem riesigen Bassin im Hintergrund schwimmende Wal“. Nach der Pause, wenn Neimann körperlos in einen Literaturkatalog eingespeist wird, lockert sich die Handbremse. Das Spiel wird frei, wälzt sich jetzt klar, lustvoll und selbstbewusst durch den attraktiven Klangraum und tritt in wirkliche Beziehung zu den Graphic-Novel-Videoclips von Philippe Bruehl. Am Ende begegnet sich Neimann selbst, und während die wunderbaren Sänger Olaf Haye und Andreas Jankowitsch sich verdutzt ansehen, kommt das Orchester für einen kurzen, großen Moment nach vorne gefahren.

Fazit: Jubiläum geglückt. Das verrückte und tatsächlich innovative und somit förderungswürdige Unterfangen wird vom Publikum ausdauernd bejubelt. Wanderer, lebst du in oder um Wuppertal, geh schnell noch mal hin in dein Theater. So etwas gibt es da vielleicht nie wieder!

Der Universums-Stulp