In Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“ blickt das Theater in den Abgrund. Es sieht die arg Bedrängten am Rande der Gesellschaft. Und es blickt in den Spiegel seiner Mittel. Gleichzeitig. Da sind Frau John, deren Mann als Maurerpolier in Hamburg arbeitet und ihr Kinderwunsch. Auch gegen die Einsamkeit. Und, um ihr „Adelbertchen“ zu ersetzen, das ihr vor Jahren weggestorben war. Sie ist die Frau im Zentrum, die eigentlich ein großes Herz hat. Die dann aber mit Entschlossenheit und Härte dem Dienstmädchen Pauline Piperkarcka ihr gerade in ihrer Obhut zur Welt gebrachtes Neugeborenes „abnimmt“ und als ihr eigenes ausgibt. Und die, als sich die Mutter besinnt und ihr Kind zurück haben will, ihren labil-kriminellen Bruder Bruno Mechelke mehr oder weniger direkt dazu bringt, das Problem „zu lösen“.
Hauptmann steigt mit diesem Teil der Geschichte der Gesellschaft sozusagen aufs Dach, und durchstöbert auf dem (metaphorischen) Dachboden einer Berliner Mietskaserne die Verhältnisse, in denen vor allem die Frauen die Zeche zahlen. Doch auch in der Gegenwelt hinter der noch aufrecht erhaltenen gutbürgerlichen Fassade, bei Ex-Theaterdirektor Harro Hassenreuther, seiner Frau, der Tochter Walburga und seinen Schülern Käferstein und Erich Spitta ist nichts mehr wirklich in Ordnung. Der Kostümfundus ist eingemottet. Der Direktor kämpft um die Rückkehr auf einen Posten, wenn es sein muss auch im fernen Straßburg. Mit Spitta, dem Freund seiner Tochter, der von der Theologie zur Schauspielerei wechseln will, liefert er sich einen Streit über Anspruch und Ästhetik des Theaters, bei dem auch nach über 100 Jahren noch so viel Funken fliegen, dass etwas Licht in Sache kommt. Spitta behauptet, dass jeder bis hin zur Putzfrau zum Helden eines Dramas werden könne. So wie in Hauptmanns 1911 als Skandal angekommenem Stück.