Szene aus "Asche"

Die Erde ohne uns

Elfriede Jelinek: Asche

Theater:Münchner Kammerspiele, Premiere:26.04.2024 (UA)Regie:Falk RichterKomponist(in):Matthias Grübel

Falk Richter hat die Uraufführung von Elfriede Jelineks „Asche“ an den Münchner Kammerspielen inszeniert. Der Text ist ein Abschied von der Welt, vielleicht auch vom Schreiben. Falk Richter überfrachtet ihn mit Musik, KI-Avataren und zu vielen Bildern.

„Ade! Mein Gesell war Lieb und Leide!“, heißt es zu Beginn des neuen Textes von Elfriede Jelinek. „Asche“ nimmt schon im Titel vorweg, worum es gehen wird: um das, was bleibt von Mensch und Natur – Asche zu Asche. Jelinek verknüpft den Verlust von ihrem Ehemann mit dem Ende der Welt, wie wir sie kennen: Das Persönliche und das Globale, hier wird es eins, verwoben zu einem einzigen großen Klagegesang auf die Unzulänglichkeit der Menschen.

Wenig Text, viel Bilder

Für Jelinek’sche Verhältnisse ist dieser Text so was wie ein Quickie: Nur 24 Seiten lang ist ihre Dystopie. Liegt es an der Kürze, dass Regisseur Falk Richter dem Text nicht so recht vertraut und ihn bei der Uraufführung an den Münchner Kammerspielen deswegen ähnlich überfrachtet wie die Menschheit ihren Planeten?

Zugegeben: Er sucht und findet Szenen und Dialoge im Textmeer von Jelinek. Und es ist freilich komisch und bitter anzusehen, wie beispielsweise Thomas Schmauser als rauchende Erdkugel über die Bühne taumelt, ein Stück Klopapier hinter sich herschleifend, und ächzt: „Ich kann nicht mehr, ich krieg keine Luft!“ Wie er die Menschen um Hilfe anfleht („jetzt konkret!“). Diese aber antworten: „Dann kommen Sie so in 30 oder 40 Jahren wieder.“ Und doch ist es ein wenig schade, dass dem Regisseur dieser Text nie genug ist, er immer noch eine Schippe drauf legt, so dass einiges an Gedanken untergeht wie all das Plastik im Meer, das immer wieder auf die geschwungene Rückwand projiziert wird.

Eine Frau sitzt mit verkreuzten Beinen auf einer Bühne zwischen Plastikmüll.

Die Bühne in München ist überladen mit Müll und Bildern. Foto: Maurice Korbel

 

Bühne des Untergangs in München

Bühnenbildnerin Katrin Hoffmann hat einen Raum entworfen, der zugleich der Anfang von allem ist und das Ende. Eine leere Fläche, im Hintergrund ein schwarzer Gesteinsbrocken (verfestigte Asche, ein Vulkan) sowie eine Sendeschüssel. Über allem schwebt ein Satellit. Hier beginnt das Spiel und endet die Menschheit. Die Erde ist unbewohnbar geworden, einer von vielen unwirtlichen Planeten in der Galaxie.

Die Menschen, die Falk Richter nun nach und nach auftauchen lässt, bringen Zeug mit sich. Vor allem: unnützes Zeug, Plastikzeug. Sie sind Störenfriede, machen Lärm und hinterlassen Unrat. Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Svetlana Belesova, Johanna Kappauf, Thomas Schmauser und Ulrike Willenbacher machen sich breit auf der Bühne, nehmen sie in Besitz und müllen sie zu.

Eine Person in einem beigen Overall kauert in einer Art Holzkiste, daneben steht das Bild "Wanderer über dem Nebelmeer", ringsherum liegt blaues und weißes Plastik.

Ulrike Willenbach wirkt in München wie ein Alter Ego der Autorin. Foto: Maurice Korbel

 

Stiller Text, lautes Theater

Es ist komisch und traurig anzusehen, wie sie sich einrichten in ihrem Niedergang, wie sie sich sonnen, räkeln und durch den Plastikmüll kraulen. Eher im Hintergrund hält sich eine, die anders ist als die anderen: weniger jung, weniger fröhlich. Ulrike Willenbacher sitzt da mit ihrem Macbook und schreibt. Eine Stenotypstin des Weltuntergangs, eine Außenseiterin, ein Alter Ego der Autorin Jelinek. „Wer schreibt, kann unmöglich gleichzeitig denken“, werfen ihr die anderen ihr Misstrauen entgegen.

Später wird sie sich in eine hölzerne Frachtkiste falten wie in einen Sarg. Wieder so ein Beispiel, wie Falk Richter die Worte in Handlungen übersetzt und sie schwächt. Denn was Willenbacher da sagt in ihrer Kiste, rückt leider in den Hintergrund: „Nichts ist mehr dort, wo es hingehört. Ich suche meine Körperteile. Die waren früher doch woanders! Na schön. Ich muß mich an die Stille gewöhnen, denn die Ecken und Kanten sind ja weggeschlagen und dann noch weggefeilt, damit es hübscher aussieht und wir dennoch nicht wegrollen können. Dafür hat sich mein ganzer Körper und hat sich mein Antlitz zusammengefaltet, damit es leichter in den Sarg hineingeht.“

Mitspielerin Natur

Was Richter in München inszeniert, ist eine Apokalypse in Zeitraffer. Die Menschheit, die er karikiert, ist eine, die ungern teilt und gerne austeilt. Ihre Farben sind Lieferando- oder Seenotrettungs-Orange und Plastik-Blau. Der Essenslieferant wirft die Verpackungen direkt ins Meer zu all dem anderen Krempel, der „gesammelt, gehortet und dann weggeschmissen“ wurde.

Richter macht die Natur zur Mitspielerin: Die Videos von Lion Bischof zeigen Orkane und Fluten. Katharina Bach kämpft sich auf der Bühne mit dem Sonnenschirm durch den Sturm. Diese illustre Gesellschaft, deren Ordnung Unordnung heißt, ist der Natur hilflos ausgeliefert. Ihre Körper sind hinfällig und altern schlecht, draußen toben die Elemente. Die auf Bildschirmen zugeschaltete KI verkündet: „Keinen Körper zu haben, das ist Vollkommenheit.“

Eine Person liegt auf einem weißen Müllhaufen und streckt alle Glieder von sich.

Unter den lauten Momenten geht der leise Text von Elfriede Jelinek fast verloren. Foto: Maurice Korbel

 

Eine traurige Jelinek

Doch auch wenn der Weltuntergang sicher nicht gemütlich ist, ist an den Münchner Kammerspielen doch vieles zu laut, zu dröhnend, zu viel. Denn Jelineks Text ist eigentlich ein ziemlich leiser, vielleicht nicht nur ein Abschied von dem geliebten Menschen und der Welt, sondern auch vom Schreiben? „Andre müssen ab jetzt die Welt kleinkriegen, ich bin schon zu schwach dafür“, heißt es einmal.

Am Ende ist die Welt verwaist und öde. Nur drei alte Frauen sind geblieben. Verloren nach dem Verlust des geliebten Menschen, des Bezugspunktes. „Mein lieber Schatz, wir werden keinen Boden mehr unter den Füßen haben, wir werden selber Boden sein, ist das nicht fein! Ja, nicht nur dich, mein Liebster, gibt es nicht mehr, es gibt, da es dich nicht mehr gibt, keine Menschen mehr auf der Welt, es muss aber welche geben, irgendwo!, wenn auch nicht für mich“, sagt Katharina Bach. Jelinek war oft bitter und böse. So traurig aber war sie nie.