Szene aus "Angabe der Person"

Nichts zu vergeben

Elfriede Jelinek: Angabe der Person

Theater:Deutsches Theater Berlin, Premiere:16.12.2022 (UA)Regie:Jossi WielerKomponist(in):PC Nackt

Die zweite Uraufführung eines Werkes von Elfriede Jelinek in zwei Tagen – auf „Sonne, los jetzt“, einer aktuellen Öko-Apokalypse über das Ende aller Dinge (und der Menschheit selbst) am Schauspielhaus in Zürich, folgte nun am Deutschen Theater in Berlin „Angabe der Person“, als Buch erschienen Mitte November und umgehend für die Bühne erarbeitet von Jossi Wieler; der noch etwas länger als Nicolas Stemann in Zürich Jelinek-erfahren ist – seit der legendären Uraufführung des Textes „Wolken. Heim“ vor ziemlich genau 30 Jahren am Hamburger Schauspielhaus.

Die beiden Uraufführungen stehen in sehr markantem Kontrast: Während Stemann in Zürich ein ziemlich verrücktes Szenario der Bilder entwirft für Jelineks politischen Ton, mit und um Jelinek herum spielt bis zum Abwinken, verlässt sich Wieler in Berlin ganz und gar auf die gesprochene Sprache. Anstrengend ist beides, und das soll auch so sein.

Blick auf das letzte Band

Einen gewissen Herrn Krapp ließ ja einst Samuel Beckett Lebensbilanz ziehen: als er „Das letzte Band“ besprach, das letzte Ton-Band. Auch mit Elfriede Jelineks „Angabe der Person“ scheint eine Art ‚letztes Band‘ besprochen zu werden – von drei Schauspielerinnen, die sich optisch, in Kostüm und Maske, sehr ähneln und Jelineks assoziative Suada untereinander aufteilen. Mit auf der Bühne sitzt aber auch ein überwiegend stummer Mann und hantiert unauffällig mit allerlei technischem Kram herum, gegen Ende auch tatsächlich mit einem alten Spulen-Tonband, auf dem sich die drei Frauenstimmen zu überlagern beginnen.

Er hat sie dokumentiert und bearbeitet; erst als die Frauen verschwinden, nimmt er selbst sich kurz das auf dem Souffleusen-Pult liegende Textbuch vor und liest letzte Worte. Ratlos ist er – was war hier gerade zu verstehen in zweieinhalb pausenlosen Rede-Stunden? Der Mann zuckt mit den Schultern – das Stück ist aus.

Das ist eine schöne kleine Hommage, mit der Jossi Wieler in Berlin Gottfried Hüngsberg ehrt, den Komponisten und Netz-Strategen, der mit Elfriede Jelinek seit 1974 verheiratet war und am 2. September gestorben ist. Er ist der Designer von Jelineks voluminösem Text-Archiv im Internet gewesen, das inzwischen (ohne Hüngsberg) zu einer Art Museum wird. Dass Bernd Moss diesen Hüngsberg den ganzen Abend über nur ab und an mehr oder minder genervte Zwischenrufe platzieren lässt, ist eine der klügsten Entscheidungen des ansonsten wie immer extrem zurückhaltenden Regisseurs Jossi Wieler – ansonsten nämlich gehört der Abend fast ausschließlich Jelineks Text und den drei Interpretinnen Linn Reusse, Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff. Erst jede sehr lange für sich, dann alle drei im sorgsam choreographierten Wort-Terzett, erfüllen sie in grandioser Konzentration Jelineks Gedanken-Strom mit so viel Leben und doch mit so wenig Spiel wie möglich.

So viel Schuld

Äußerer Anlass ist Elfriede Jelineks traumatische Begegnung mit der deutschen Steuerfahndung – die der Autorin vor einiger Zeit nicht mehr glauben mochte, dass sie tatsächlich in Wien und nicht mit Hauptwohnsitz in der Münchner Zweit-Wohnung zu Hause sei; was steuerrechtlich Konsequenzen gehabt hätte. Das Verfahren wird schnell eingestellt – Jelinek aber misst dem Staat, der ihr Fehlverhalten nachweisen will, an den Echos der Vergangenheit, speziell am Leid der jüdischen Mitglieder der eigenen Familie. An Onkel Adalbert, den Taschenmacher, erinnert sie und an die eigene Mutter, die wie so viele aufgefordert wurde, sich vom jüdischen Ehemann zu trennen. Eine deutsche Frau aber, so zitiert Jelinek die Mutter, ist treu – auch einem Juden …

In immer neuen Opferbeschwörungen und Selbstbezichtigungen arbeitet sich Elfriede Jelinek ab am nie vergehenden Schmerz, den ihr die Geschichte des deutschen Faschismus mit auf den Lebensweg gegeben hat; eine Lebensbilanz, wie sie „Angabe der Person“ ja auch ist, ist nicht zu denken, nicht zu schreiben ohne all diesen Hass und Selbsthass. Sie wurde ja nie politisch verfolgt, aber das Jahrhundertverbrechen an der Judenheit, von Deutschen und im deutschen Namen begangen, bleibt Elfriede Jelineks zentrales Thema, abseits aller aktuell-politischen Wortmeldungen zum Zustand der Welt. Eine Art Ersatz-Ich hat sie sich geschaffen im und mit dem Leiden der echten Opfer – Jelineks Analyse des eigenen Ich ist stets von konsequenter Schärfe.

Und nichts hat sie zu vergeben, nichts „durchzulassen“ … wie eine „Windel für die Welt“. Dieser Text ist auch wieder einer von denen, die zielstrebig hinabsteigen in die Abgründe der Wortspielereien – wer die immer schon mochte, wird auch hier zufrieden gestellt. Wer nicht, der nicht.

Der Theatermusiker PC Nackt hat mäßig spektakuläre Klänge beigesteuert: für ein mechanisches Klavier, an dem niemand sitzt, wenn die Tasten sich bewegen. Auch die Rudimente eines Wohnhauses drehen sich beständig auf der Bühne von Anja Rabes – aber zum optischen Ereignis (wie am Abend zuvor im Züricher Überwältigungstheater von Nicolas Stemann) wird die Berliner Inszenierung nie. Konsequent bleibt sie beim Wort – und fast jedes und jeder Satz über sich selber und den immerwährenden deutschen Albtraum hat das Zeug zum Zitat.

Wer da im Publikum nicht am Ball bleibt, kann schnell verloren-, verschütt- und untergehen im Wörter-Meer; „Angabe der Person“ ist eine Herausforderung für alle und gerade darum beunruhigend vertraut.