Foto: Sara Jakubiak als Katarina. © Teatro alla Scala
Text:Joachim Lange, am 8. Dezember 2025
Zur traditionellen Saisoneröffnung der Mailänder Scala inszeniert Vasily Barkathov Schostakowitschs geniale „Lady Macbeth von Mzensk“. Riccardo Chailly lässt den Atem stocken, während Barkathov zusätzliche Interpretationsebenen einbaut. Die opulente Ausstattung tut ihr Übriges für einen vollen Erfolg.
Dmitri Schostakowitschs (1906-1975) „Lady Macbeth von Mzensk“ ist eine Oper mit ganz eigener Geschichte. Es geht um eine liebesbedürftige, sich langweilende, von ihrem Mann vernachlässigte Kaufmannsfrau, die erst ihren übergriffigen Schwiegervater, dann ihren Ehemann, schließlich eine Rivalin und sich selbst umbringt.
Schostakowitsch hat das so genial in Musik umgesetzt, dass es mitreißt, betroffen macht, auch mitfühlen lässt. Nach der Leningrader Uraufführung 1934 war das in der Sowjetunion ein gewaltiger Erfolg. Die Russen (er)kannten, was sie sahen und vor allem hörten nur allzu deutlich. Zwei Jahre später folgte das berüchtigte Verdikt von Stalin. Der Diktator befand: „Chaos statt Musik“ und verbannte die Oper in den geistigen Gulag seines Reiches. Was auch für den Komponisten höchst gefährlich war. Der Marsch der Gefangenen ins sibirische Straflager ist nichts anderes als ein Trauermarsch, er triff die echten und die roten Zaren und deren Nachfolger.
Es ist ziemlich subversiv, wenn der Pope bei der Hochzeit der mordenden Katerina Ismailowa mit ihrem Liebhaber eine „Hymne an die Sonne“ anstimmt, wird damit doch kaum verhüllt der Personenkult parodiert. Während die grandiose Musik zur Polizeistation jede korrupte Staatsmacht grotesk zur Kenntlichkeit entstellt.
Riccardo Chailly lässt den Atem stocken
Für die traditionsgemäß am 7. Dezember in Mailand stattfindende Saisoneröffnung der Scala ist das nicht gerade ein prädestiniertes Werk. Hier mag man eher andere, etwas ältere, italienische Opern. Es spricht für Riccardo Chailly, dass er sich für seine letzte Inaugurazione dieses Meisterwerk des zwanzigsten Jahrhunderts ausgesucht hat. Für ihn war es ein grandioser Erfolg. Es verwundert nicht wirklich, aber nun ist es unstrittig klar: Chailly kann Schostakowitsch und zwar so differenziert, transparent, temperament- und gefühlvoll, dass einem der Atem stockt. Das gilt vor allem bei den Porträts der Kaufmannsfrau Katerina, aber auch von den Männern um sie herum. Und von dem Gesellschaftsbild, das damit und beim Einsatz des Chors gezeichnet wird.
Vasily Barkhatov (Regie), Zinovy Margolin (Bühne) und Olga Shaishmelashvili (Kostüme) haben die Geschichte an die Entstehungszeit der Oper herangerückt und mit einer opulenten Ausstattung versehen. So etwas wie sowjetischen Jugendstilanklang in einem üppigen Festsaalhalbrund. Mit einer Galerie, die sich aus dem Bild drehen kann und auf der eine ganze Polizeistation Platz hat, wenngleich die in ihren weißen Uniformen weniger nach grotesker Staatsmacht, sondern mehr nach Kulturprogramm aussehen. Aber die Musik dazu reißt das raus und das Publikum mit. Dazu gibt es eine von der Seite hereinfahrbare zweistöckige Bühne, in der sich unten der Wohn- und Büroraum und oben eine Großküche finden. Den übergriffigen Schwiegervater lässt Katerina im Speisesaal triumphierend verrecken, ihr Ehemann wird auf dem Sofa kurzerhand gewürgt und dann erstickt und im Tresor verstaut.

Die kongeniale Bühne von Zinovy Margolin. Foto: Teatro alla Scala
Die Toten kommen hier als Geister zurück – den Schwiegervater erlebt sie als Vergewaltigungsalptraum, der Ehemann ist die Überraschung in der Hochzeitstorte. Der Geschichte hat Barkhatov die Vernehmung von Mördern und Zeugen hinzugefügt. Dazu fährt an der Rampe immer wieder ein Tisch mit einem Vernehmungsoffizier nach oben, währen diverse Beweisstücke und Akten im Video eingeblendet werden. Eine szenische Zusatzdimension, die Kommentar und Reflexion erlaubt.
Analyse einer erstarrten Gesellschaft
Wenn für den Weg in die Verbannung ein alter sowjetischer Laster durch die Glaswand rast und die elegant gekleidete Hochzeitsgesellschaft wie erstarrt in Deckung geht und dem Elend der Gefangenen wie gebannt zusieht, gehört auch dieses Bild zu der Analyse einer erstarrten Gesellschaft, die über das alte Russland der Vorlage oder die Stalinzeit hinaus bis in die Gegenwart reicht. Der Schluss ist ein im wörtlichen Sinne flammendes Fanal. Katerina zündet sich und ihre Rivalin und zwei in Flammen stehende Gestalten geistern über die Bühne. Die Mitgefangenen nehmen den beiden Toten selbst dann noch die Schuhe ab…
Nach dem Finale bricht der Beifall los. Er gilt vor allem einem Riccardo Chailly in Höchstform und seinem Orchester, dem Chor und dem ganzen Solistenensemble. Allen voran der als Katerina vokal und darstellerisch faszinierenden Sara Jakubiak, aber auch Najmiddin Mavlyanov als Sergej und Alexander Roslavets als Boris.
Dem Polizeiaufwand vor und um die Scala und dem Glamourfaktor nach zu urteilen, hält man sich in Mailand immer noch für den Mittelpunkt der Opernwelt. Szenisch und musikalisch spricht zumindest diese großformatige „Lady Macbeth“ diesem Selbstbewusstsein nicht entgegen.