Constanza Macras/Dorkypark: The Visitors

Befreiungsschlag

Constanza Macras/Dorkypark: The Visitors

Theater:Ruhrtriennale, Premiere:09.09.2023Regie:Constanza Macras

„The Visitors“ von Constanza Macras/Dorkypark feierte bei der Ruhrtriennale seine europäische Erstaufführung: ein gleichermaßen unkonventionelles und hochenergetisches Stück über die Befreiung durch Tanz.

Tanz und Gesang, Profis und Laien, Erwachsene und Kinder, Horrorfilme und Geschichte – Constanza Macras und ihre Company Dorkypark vereinen in ihrer neuen Produktion „The Visitors“ all das auf überraschende und unkonventionelle Weise miteinander: Entstanden ist eine hochenergetische, politisch aufgeladene Choreografie. Schon seit vielen Jahren arbeitet Constanza Macras regelmäßig in Johannesburg, hatte zuletzt für „Hillbrowfication“ Jugendliche aus dem Johannesburger Stadtteil Hillbrow engagiert. Die Zusammenarbeit mit vielen dieser jungen Darsteller:innen führt sie nun in  „The Visitors“ weiter, das seine europäische Erstaufführung jetzt also in der Duisburger Gebläsehalle bei der Ruhrtriennale feierte. Und wieder liegt der thematische Impuls für den Abend in Südafrika, wo Slasherfilme beliebt und verbreitet sind – Horrorfilme wie „Halloween“ oder „Scream“ also, in denen besonders oft Jugendliche zu Opfern meist maskierter Killer werden. Das Motiv dieses Filmgenres wird von Macras und ihren Künstler:innen auf mannigfaltige Weise assoziativ bespielt, stets vor dem Hintergrund der Annahme, dass sich zwischen den postkolonialen Strukturen in Südafrika und dem Filmgenre Slasher-Horror augenfällige Parallelen auftun: Opfer, die systematisch abgewertet werden etwa, Jugendliche, die ohne Schutz ihrer Eltern leben, oder auch die Verbindung von gegenwärtigem und vergangenem Schrecken.

Nicht-lineares Erzählen

Eine lineare Erzählung gibt es in „The Visitors“ nicht, vielmehr eine Aneinanderreihung jeder Menge assoziativer Szenen: Da wird aus Julio Cortázars Kurzgeschichte „Das besetzte Haus“ von 1946, aber auch aus zeitgenössischen Horrorfilmen zitiert, und die Schuluniformen, in die die Tänzer:innen immer wieder schlüpfen, erinnern sowohl an Netflix-Zombie-Serien wie auch an den Aufstand in Soweto in den 1970er Jahren. So weit, so gut – und auch so lustig bisweilen: Die Bürokratie und das Schmiergeld werden noch ein personifiziertes Lied singen und Papiere einen geisterhaften Auftritt feiern (klar, dass der globale Norden dabei nicht gut wegkommt). Die Geister der Vergangenheit, sie sind ungebetene Gäste, die es zu vertreiben gilt, mit Tanz, Gesang und Kraft. Macras wäre aber nicht Macras, würde sie in Sachen Bedeutungskomplexität nicht noch tiefer schürfen. Wenn die Tänzer:innen bei einer Art moderierten Modenschau immer wieder vom hinteren Bühnenrand zur Bühnenkante laufen und dabei etwa ihre „Qual“, ihre „mangelden Ressourcen“ oder etwa „den dunklen Schleier der endlosen Nacht“ (weil Stromausfälle an der Tagesordnung sind) zur Schau tragen beispielsweise. Häufig werfen sich die Tänzer:innen als Ausdruck unerschütterlichen Vertrauens kopfüber in die Arme ihrer Tanzpartner:innen oder sie legen die Arme hinter sich auf den Boden, laufen rückwärts auf allen Vieren. Immer wieder kippen scheinbar normale Bewegungen in unnatürliche. Und permanent agieren die Erwachsenen völlig selbstverständlich mit den Kindern, verbindet sich der Tanz von professionalisierten Darsteller:innen mit dem von Laien.

Symbolbild Zombie

Den Umstand, dass Macras von der Kolonialzeit über die Apartheit, vom Bürokratie-Irrsinn (das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von Papieren kann über ein Schicksal entscheiden!) bis zur anhaltenden Ausbeutung des globalen Südens die politischen Anspielungen sowohl breit streut als auch manchmal etwas verknappt darstellt, verzeiht man dem Abend gern. Genau wie die Tatsache, dass nicht immer ganz sauber getanzt wird – es fliegt auch schon mal ein Schuh vom Fuß oder eine Bewegung verwischt –, denn es geschieht stets mit auffälliger Energie. Choreografisch wird es besonders da intensiv, wo Macras zu ungewöhnlichen Bildern greift: Wenn Mörder und Opfer miteinander kämpfen zum Beispiel – hat man jemals einen so eleganten und zugleich humorvollen Todeskampf gesehen? Und liegt nicht in der Zombie-Plünderungsszene zum Schluss tatsächlich ein schönes Abbild für das Ende unseres Turbokapitalismus? Der Zombie nicht als Symbol des Entmenschlichten, sondern als Verkörperung des von allen Ungleichheiten befreiten Toten? Gerade um die Befreiung durch den Tanz als intrinsisches Motiv geht es ja diesem Abend, an dem Jugendliche aus Johannesburg sich in Duisburg gemeinsam mit ihren professionellen Kolleg:innen auf so vielen Ebenen freitanzen. „The Visitors“ ist bebender Tanz, kraftvoller Gesang, intensive Performance – und noch viel mehr als ein Theaterabend.