Foto: Katrin Huke, Julian Mantaj und Jonas Pätzold in "Der fabelhafte Die" am Theater Konstanz © Ilja Mess/Theater Konstanz
Text:Manfred Jahnke, am 17. Oktober 2021
„Eine erstaunlich bunte Sammlung willkürlich aneinandergereihter Geschichten aus aller Welt *nicht gesungen, aber gereimt“, steht im Manuskript als Genrekennzeichnung für das Stück „Der fabelhafte Die“ am Jungen Theater Konstanz. Treffender kann man nicht den Charakter dieser wundervollen Collage mit ihren vielen Erzählsträngen benennen, die der junge Autor Sergej Gößner im eigentlichen Sinne des Wortes komponiert hat. Zirkuswelt, Show, Märchen und vieles mehr schieben sich ineinander.
Der stärkste Mann der Welt trifft die Ente Klaus – eigentlich ein Schwan, der in Umkehrung der Konzeption von Andersen lieber Ente sein möchte. Oder der von einer langen Reise ermüdete Barsch begegnet den beiden Kindern Ayla und Ben. Das mutet schräg an. Diese aberwitzigen Begegnungen sind jedoch Gegenstand einer Recherche, die die Frage, was ist normal, was nicht – was auch die Genderfrage mit einschließt – erforscht. In der Besetzungsliste werden die drei Rollen als „W/I/R“ geführt. In der Konstanzer Uraufführungsinszenierung von Kristo Sagor agieren eine Spielerin und zwei Spieler, die abwechselnd alle Rollen vorführen – egal, ob diese männlich, weiblich oder tierisch sind.
Mit wenigen Ausnahmen wie das „Moin“ des Barsches gibt es keine sprachliche Charakterisierung der Figuren. Stattdessen ist der Text auf Endreim gesetzt, was dem Stück einen moritatenhaften Charakter verleiht. Dabei ist kein durchgängiger einheitlicher Versrhythmus angestrebt, stattdessen wird dieser frei gehandhabt. Die Endreime sind am Anfang präsent, im Verlaufe der Aufführung verschwinden sie, obschon sie nach wie vor den Text prägen: So schnell gewöhnt sich das Ohr.
Dramaturgische Handlungskonzeption und sprachliche Gestaltung verweisen auf die Form der Groteske, die Kristo Šagor in seiner Inszenierung verschärft. Wesentlich trägt dazu die Ausstattung von Iris Kraft bei, die eine abstrakte Szenerie schafft: Ein großes Podest in Karoform in den Farben Rosa und einem seltsam hellen Blau steht im Zentrum der Szene. Es symbolisiert den Zirkuswagen als Handlungsort. Vom Schnürboden hängen verschieden große Scheiben mit vielen Farbabstufungen, wobei Rosa und Blau wieder dominieren. In der Mitte im Hintergrund hängt die größte Scheibe in Pink. Alle Scheiben sind halbseitig mit kleinen Glühbirnen ausgestattet, die, wenn sie aufleuchten, eine Zirkusatmosphäre herstellen. Es gibt nur wenige Requisiten wie ein überdimensionaler Schnurrbart für F-Punkt Meyer Schmidt, der am (imaginären) Teich Enten mit Brot zu Tode füttert.
Am Anfang tragen die Spieler und die Spielerin neutrale graue Kleidung: Das Spiel hat noch nicht begonnen, es muss noch ausgeleuchtet werden. Mit dem Satz aller Sätze beginnt das eigentliche Stück: „Am Anfang war das Wort“ – und davor gab es den „Gedanken, die Idee, die Möglichkeit“. Diese Möglichkeiten werden nun im Wirbel der sich immer mehr vermischenden Geschichten genutzt. Šagor entwickelt dabei seine Inszenierung auf zwei Ebenen: in einer strengen Sprachregie, die die volle Konzentration des Publikums erfordert, und einer bildhaften Darstellung, die sich der übertreibenden Mittel der Groteske bedient. Beide ergänzen sich zu einem magischen Ausdruck, in der glaubhaft Tiere und Menschen wie einst vor langer märchenhafter Zeit miteinander kommunizieren können.
Dabei helfen die Kostüme von Iris Kraft, sich zu orientieren. Die Ente Klaus, eine überdimensional große Figur, wird am Körper getragenen, der Barsch durch ein riesiges Abbild aus Pappe gekennzeichnet, während das Ensemble immer mehr rosa oder blaue Kostümteile anzieht – unabhängig vom Geschlecht der Spielenden. Eine große Rolle spielt dabei ein silberglänzendes Kostüm, mit langen Fransen, das etwas Vogelartiges hat.
Schon beim Lesen des Textes sticht dessen assoziative Verspieltheit heraus. Šagor gelingt es mit seinem Ensemble, das vor Spielfreude sprüht, der Gefahr des „Zerspielens“ zu entgehen. Seine stringente Personenführung treibt Katrin Huke, Julian Mantaj und Jonas Pätzold zu komödiantischen Höhepunkten voran, wobei er ein so starkes Ensemble formt, dass hier niemand hervorgehoben werden kann. Es macht einfach Spaß zuzuschauen. Einmal mehr zeigt sich, wie wichtig die Initiative „Nah Dran!“ vom Deutschen Kinder- und Jugendtheaterzentrum und dem Deutschen Literaturfonds ist. Ihr Ziel, mit neuen Stücken das Theater für ein junges Publikum zu bereichern, verwirklicht sich in „Der fabelhafte Die“ auf geglückteste Weise.