Foto: Peri (Vera-Lotte Boecker) wird von der Masse bedrängt. © Monika Rittershaus
Text:Sören Ingwersen, am 28. September 2025
Tobias Kratzer entzündet mit seiner ersten Inszenierung als neuer Intendant der Staatsoper Hamburg ein Fanal. Robert Schumanns Oratorium „Das Paradies und die Peri“ inszeniert er wie eine vollgültige Oper. Darin versucht die gefallene Peri mit allen Mitteln wieder zurück in den Himmel zu gelangen.
Wenn ein neuer Generalmusikdirektor verkündet, er möchte einen „deutschen Klang“ kultivieren, denkt man zunächst an Wagner oder Strauss. Bei Omer Meir Wellbers erstem Operndirigat als neuer GMD an der Staatsoper Hamburg steht allerdings Robert Schumann auf dem Programm. „Das Paradies und die Peri“, inszeniert vom neuen Intendanten Tobias Kratzer, der kürzlich zum Regisseur des Jahres gewählt wurde.
Dass die beiden Herren ihren Einstand in Hamburg mit einem selten aufgeführten Oratorium feiern, ist einigermaßen verwegen. Doch beim Publikum traf Kratzer mit seiner klugen Ausdeutung dieser vielfarbig schillernden romantischen Perle voll ins Schwarze. Auch der fantastische Chor (Einstudierung: Alice Meregaglia), acht bestens aufgelegte Gesangssolisten und ein beglückend austarierter Orchesterklang unter Wellbers sensibler Leitung der Philharmoniker erweckten den Eindruck, als würde eine neue künstlerische Ära an der Dammtorstraße eingeläutet.
Zutritt verwehrt
Als aus dem Himmel verstoßene Peri begeistert Vera-Lotte Boecker. Ihr Sopran erzählt mit einem betörenden Farbspektrum von Sehnsucht und Verzweiflung. Um wieder ins Paradies eingelassen zu werden, muss Peri den Engel (Ivan Borodulin) dazu bewegen, die Himmelspforten wieder zu öffnen. Die drei Stationen der Peri entstehen durch Umbauten auf einer zunächst fast leeren, offenen Bühne (Rainer Sellmaier) und werden erzählerisch von Kai Kluge begleitet, der Schumanns Klanggemälde mit prächtigem tenoralem Kolorit ausmalt.

Peri muss den Engel überzeugen, die Himmelspforte zu öffnen. Foto: Monika Rittershaus
So findet sie sich in einer verblendeten Menschenmenge wieder, die einem tyrannischen Herrscher huldigt. Doch das Blut eines Jünglings (Luhnga Eric Hallam), der aufbegehrt und dabei sein Leben lässt, verschafft der Peri keinen Zugang zum Himmel. Bei den weißen Quarantänezelten, die danach von Menschen in Schutzanzügen auf die Bühne geschoben werden, steht unverkennbar die Corona-Pandemie Pate. Doch auch der letzte Seufzer, ausgestoßen von einer Frau, die ihrem todkranken Geliebten bis zum Ende beisteht, kann die Himmelspforte nicht öffnen. Im dritten Teil sehen wir vier Kinder unter einer Glaskuppel in einer Miniaturlandschaft spielen – bis der Qualm, der aus den Schloten der Fabriken aufsteigt, sie erstickt.
Den Erwartungen entgegen
Kratzer findet starke Bilder für einen zeitgemäßen Zugriff auf Schumanns weltliches Oratorium, das er wie eine vollgültige Oper inszeniert. Streckenweise filmt eine Kamera das Publikum, wobei das auf die Bühne übertragene Bild die Inszenierung mal mit Witz, mal mit der aufwühlenden Wirkung feiner Gesten in den Saal der Zuschauenden erweitert.
Nicht nur über die Peri, deren Sehnsuchtsort am Ende eine überraschende Verwandlung erfährt, soll man nachdenken. Auch über sich selbst und seine Erwartungen an das Musiktheater. Mit denen spielt Kratzer höchst raffiniert, wobei er Schumanns leicht sentimentalem Sujet mit ironischen Brechungen und der Betonung der theatralen Situation begegnet, ohne dass hierdurch der eindringliche Appell des Oratoriums für mehr Empathie verloren ginge. Das Premierenpublikum zeigte sich zu Recht begeistert. Kratzer, Wellber und Hamburg – das könnte eine dauerhafte Liebesbeziehung werden.