Was neben dem außerordentlich facettenreichen Klangbild vor allem fasziniert, ist die phantastisch irrlichternde Vielschichtigkeit dieser Opéra-comique. Am hervorstechendsten ist zwar die komödiantische Opéra bouffe-Ebene, die sich in der Parodie auf den bierseligen Kleinstaat Bayern und seinen vertrottelten König, in den Rollentausch-Szenen zwischen dem Prinzen von Mantua und seinem Adjutanten Marinoni und auch im Hals über Kopf bewerkstelligten Mesalliance-Happy-End breiten Raum verschafft. Daneben aber steht die „romantische“, von tiefer Melancholie überschattete Liebesgeschichte zwischen Fantasio und der bayerischen Prinzessin Theres. Und im revolutionären Geist Fantasios und seiner Mitstudenten schließlich nehmen Offenbach und Musset die Stimmungen des Vormärz auf, die nach 1848 durch die Restauration erstickt wurden. Außerdem spielen etliche Episoden und Motive sehr direkt auf historische Ereignisse in Zusammenhang mit dem Deutsch-französischen Krieg an.
Buffa-Komik, romantische Melancholie, politischer Appell – all das auf einen interpretatorischen Nenner zu bringen, ist eine echte Herausforderung sowohl an den Dirigenten wie auch an den Regisseur. Andreas Schüller als Gast am Dirigentenpult der Badischen Staatskapelle – im Hauptberuf ist er seit 2013 Chefdirigent der Staatsoperette Dresden – entledigt sich dieser vertrackten Aufgabe bravourös. All die vielen unvermittelten Stimmungsumschwünge gestaltet er mit einer Wendigkeit und gleichsam naturwüchsigen Selbstverständlichkeit, dass es die pure Freude ist. Zudem bringt er im fein gewebten, nie dicken oder diffusen Klangbild Offenbachs Instrumentationsfinessen bestens zu Geltung. Das Klangbild funkelt nur so vor exquisiten Farben.
Bei der Premiere stand Schüller zudem ein ausgezeichnetes Sängerensemble zur Verfügung, bei dem die 1988 in Istanbul geborene Mezzosopranistin Dilara Bastar als Fantasio und die lyrische Koloratursopranistin Ina Schlingensiepen aus dem Karlsruher Opernensemble als Prinzessin Theres ein ideal harmonierendes Protagonistenpaar bildeten. Dilara Bastars Mezzo hat ein in der Tiefe herb schattiertes, in der Höhe klar leuchtendes Timbre, mit dem sie ihrem Fantasio viel Charakter gibt. Dass die Partie ihr etliche Legato-Kantilenen in unangenehm tiefer Lage abverlangt, war manchmal spürbar, insgesamt aber gelang ihr eine ebenso wohlklingende wie empathische Interpretation dieses Liebes- und Freiheitshelden. Auch Ina Schlingensiepens Sopran hat viel Leuchtkraft, die in der Höhe zwar ein bisschen angeraut ist. Aber sie führt ihre Stimme mit herzerweichender Einfühlsamkeit und vorbildlicher künstlerischer Delikatesse. So wurde das Liebesduett der beiden im dritten Akt zu einem großen Höhepunkt des Abends.
Aber auch sonst ist das Ensemble bestens durchbesetzt: Renatus Meszars markant-komischer König von Bayern, Gabriel Urrutia Benets viriler Prinz von Mantua, Klaus Schneider als Marinoni mit kraftvollem Charaktertenor, die vokal sehr profilierten, von Dennis Sörös als Spark klangvoll angeführten vier Studenten, der von Ulrich Wagner bestens einstudierte Chor – sie alle machen diese Produktion zu einem großen musikalischen Erlebnis.
Der Regisseur Bernd Mottl dagegen legt seine von Otto Pichler choreographisch animierte Inszenierung im Bühnenbild von Friedrich Eggert und den Kostümen von Alfred Mayerhofer allzu einseitig auf die puppenlustige und bilderbuchbunte Komik fest. Da wird ohne allzu viel Rücksicht auf musikalische Stimmungen gefuchtelt und gezappelt, gekaspert und gehaspelt, die revolutionären Studenten agieren in ihren bunten T-Shirts über stilisierten Lederhosen-Shorts wie Testosteron-gedopte Collegeboys mit Schuhplattler-Anwandlungen und Kung-Fu-Ausfällen, das bayerische Volk paradiert choreographisch zwischen Puppenstuben-Fachwerkhäuslein vor Alpenkulisse – für alles, was diese attraktiv irrlichternde Opéra-comique anbietet, hat Mottl einen Gag parat. Mehr aber leider nicht. Dabei wäre es doch reizvoll gewesen, ihre rapiden Stimmungsumschwünge, ihr seltsam nervös wechselndes, geradezu manisch-depressives Temperament aufzunehmen, sich an den politischen Anspielungen abzuarbeiten. Gut – man sieht, wie die bayerische Volkskunst zum Ausverkauf freigegeben und durch global vermarktete Konsumgüter ersetzt wird. Aber diese Aktionen mit Pappkartons, deren QR-Codes auf den globalen Warenverkehr verweisen sollten, bleiben belanglos und aufgesetzt.
Und so macht diese verdienstvolle Karlsruher Neuentdeckung mächtig Lust auf eine Wiederbegegnung – in einer Inszenierung, die sich dem Werk in all seinen Tiefen und Untiefen stellt, statt es über den einen Kamm eines allzu fasslichen Humors zu scheren.